Penelope Williamson
versteinert. Dann sagte er mit kaum
unterdrücktem Ärger: »Dazu hast du keine Zeit, und das ist auch nicht nötig.«
»Aber ich habe gerade erst mit dem Unterricht angefangen. Ich kann
auf keinen Fall gleich wieder aufhören ...«
Er hob die Hand. »Ich habe dir gesagt, was ich davon halte. Wir
müssen darüber kein Wort mehr verlieren.«
Ihre Blicke trafen sich. Es war wie ein stummes Duell. Dann sagte
Delia: »Ich werde gehen, Nat. Ich werde meine Pflichten später erledigen, aber
ich werde gehen.«
Er kniff die Augen zusammen und ballte eine Hand zur Faust. Als er
einen Schritt auf sie zutrat, wappnete sie sich für einen Schlag. In diesem
Augenblick fing Tildy laut an zu weinen. Sie drehten sich beide erschrocken um.
Das kleine Mädchen saß noch am Tisch und rieb sich weinend das rechte Auge.
»Es tut weh! Es tut weh ...«, jammerte sie.
Delia kniete neben ihr nieder und nahm ihr die Hand vom Auge. »Laß
mal sehen, mein Schatz.« Auch Nat beugte sich besorgt über das Kind. Das
Augenlid war entzündet und stark geschwollen.
»Das ist vermutlich ein Gerstenkorn«, sagte er. »Geh mit ihr heute
noch zum Doktor. Er weiß, was da zu tun ist.«
Delias Herz schlug schneller. »Aber ich weiß nicht, wo er wohnt
... vielleicht kann Meg ...«
»Meg muß mir beim Heumachen helfen. Ich will
nicht noch mehr Zeit damit verlieren, daß ich dir erst stundenlang zeigen muß,
wie das gemacht wird. Du mußt nur flußaufwärts gehen bis zu der Lichtung, wo
die Blockhütte von Doktor Tyl steht. Du kannst es nicht verfehlen. Tildy war
übrigens schon einmal da.«
Tildy schluchzte, und Delia trocknete ihr mit der Schürze die
dicken Tränen ab. »Schon gut, mein Schatz«, sagte sie tröstend. »Wir gehen zu Dr. Tyl, und er wird dich wieder
gesund machen.«
Tildy hörte auf zu weinen und fragte: »Bekomme ich von dem Doc ein
Plätzchen? Das letzte Mal, als ich mir die Finger verbrannt habe, hat er mir
ein Plätzchen gegeben.«
»Dann wird er dir wohl auch diesmal ein Plätzchen geben ...« Nat
griff nach seinem Filzhut und ging zur Haustür.
»Nat«, rief Delia ihm nach. »Ich gehe heute nachmittag nach
Merrymeeting zum Unterricht.«
Nat erwiderte nichts. Sie hörte nur, wie er kurz darauf knallend
die Haustür zuschlug.
Meg folgte ihm langsam, aber im Vorraum blieb sie stehen und
drehte sich um. »Du hast Papa sehr wütend gemacht.«
»Ja ...«, Delia nickte beklommen.
»Macht es dir etwas aus?« fragte Meg, und es klang vorwurfsvoll.
»Ja, es macht mir etwas aus, aber der Unterricht ist für mich sehr wichtig,
Meg.«
Nat rief von draußen laut nach seiner
Tochter. Meg blieb trotzdem noch stehen und sagte: »Du wolltest mir zeigen,
wie man den Kreisel richtig kreisen läßt. Meinst du, du hättest vielleicht
morgen Zeit ...?«
Delia mußte plötzlich lächeln. »Natürlich. Ich zeige es dir morgen,
aber erst nach dem Heumachen, damit dein Papa nicht noch wütender auf uns wird
...«
Megs ernstes Gesicht entspannte sich, und ihre dunklen Augen
glänzten.
»MEG!«
»Geh jetzt lieber, dein Papa ruft dich.«
Meg rannte hinaus, und Delia zog den alten Arbeitsrock aus und
hängte ihn in den Vorraum. Dann ging sie ins Schlafzimmer. Tildy blieb ihr
dicht auf den Fersen und redete von Dr. Tyl und seinen Plätzchen, während Delia
sich umzog. Es gab keinen Spiegel im Haus, aber in den Fensterscheiben sah sie
sich gut genug, um die Haare hochzustecken und die weiße Haube zum Schutz gegen
die Sonne zurechtzurücken. Delia sah auch ihre roten Wangen und stellte fest,
daß ihr Herz heftig klopfte.
Ich gehe zu Tyl und werde ihn sehen ...
Zu Nats Farm gehörten vier Morgen Sumpfwiesen
am Fluß. Das saftige hohe Gras eignete sich sehr gut zum Heumachen. Als Delia
mit Tildy an der Hand den Uferpfad entlangging, sahen sie Nat und Meg bei der
Arbeit. Nat mähte das Gras mit der Sense. Meg folgte ihm mit dem Rechen. Sie
rechte das Gras in zwei Reihen. Später wurde das getrocknete Gras gebündelt und
mit dem Pferdewagen in die Scheune hinter dem Stall gebracht. Delia winkte
ihnen zu, aber die beiden waren so beschäftigt, daß sie nicht einmal aufblickten.
Der Fluß floß an diesem heißen Tag nur träge
dahin. Ein Fisch sprang in die Luft und schreckte einen blauen Reiher auf. Sie
kamen an vielen Walderdbeeren vorbei, die so appetitlich aussahen, daß sich
Delia vornahm, auf dem Rückweg genug für sie alle zu pflücken. Tildy jammerte
und wollte bald getragen werden. Auch ein Hörnchen mit einem buschigen Schweif,
das vor
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