Penelope Williamson
habe ich das Gefühl, sie zu betrügen ...«
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Niemand sagt, daß es
heute nacht sein muß.«
Er seufzte tief. »Ja, ja ... niemand sagt ... das. Außerdem bist
du noch Jungfrau, und du brauchst ohnehin noch etwas Zeit, um dich an einen
Mann zu gewöhnen. Vielleicht wird alles leichter, wenn wir uns besser kennen«,
fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Delia war dankbar für die Dunkelheit. So
konnte er nicht ihr Gesicht sehen. Sie hatte nicht erwartet, daß er glaubte,
sie sei noch unberührt. Beinahe hätte sie voll Bitterkeit laut aufgelacht.
Zuerst hielt er sie für eine Hure, und jetzt war sie für ihn eine Jungfrau!
Großer Gott, dachte sie, was habe ich nur angerichtet und wie soll
ich jemals wieder aus diesem Durcheinander herausfinden?
»Delia?«
Sie antwortete schnell: »Du hast recht, Nat. Wir brauchen Zeit, um
uns besser kennenzulernen.«
Nat lachte erleichtert, aber auch verlegen. Die Matratze bewegte
sich, als er aufstand. Er hielt sich am Bettpfosten fest, hüpfte dann zur Wand
und griff nach der Krücke. Er schob sie unter den Arm und drehte sich um.
»Delia ...?«
Sie räusperte sich, weil ihre Kehle trocken war. »Nat, du mußt
nicht ...«
»Delia ... ich werde inzwischen woanders
schlafen. Im Schuppen steht ein Feldbett. Ich werde es nachts aufstellen und
tagsüber wieder zusammenklappen. Meine Mary hat sich sowieso immer beklagt,
weil ich so laut schnarche. Du wirst allein besser schlafen können.«
Er tastete im Dunkeln nach seinen Sachen und
klemmte sie unter den Arm mit der Krücke. Mit der Hand auf der Türklinke blieb
er stehen und flüsterte: »Du hast wirklich sehr schön ausgesehen heute, Delia.
Ich war stolz, an deiner Seite zu sein und dich zu meiner Frau zu machen.«
»Danke, Nat ...«
Die Tür öffnete sich. Die Glut im Herd warf einen schwachen
Lichtschein auf das rote Bett. Dann schloß sich die Tür hinter ihm, und der
Riegel wurde vorgeschoben.
Delia zog die Bettdecke über den Kopf und
unterdrückte ein krampfhaftes Schluchzen. Sie fühlte sich so allein. Sie sehnte
sich danach, umarmt, berührt und geliebt zu werden, aber nicht von Nat.
Sie sehnte sich nach Tyl.
Ich liebe sie
nicht!
Tyl wiederholte diesen Satz beschwörend immer
wieder.
Aber wenn ich sie nicht liebe, weshalb stehe ich hier im Dunkeln
und starre wie angewurzelt auf das offene Fenster? Dort in dem Zimmer wird sie
bald in den Armen eines anderen liegen ...
Er lehnte an der Mauer, die Nat aus den mühsam
beim Pflügen seiner Felder aufgelesenen Steinen gebaut hatte. Die kantigen Steine
drückten sich ihm durch das Hemd in den Rücken. Die Nacht war kühl, aber er
schwitzte. Der dumpfe Schmerz in seiner Brust ließ ihn nur flach atmen. Seine
Muskeln waren so verkrampft, daß er sich kaum bewegen konnte.
Als sie plötzlich am Fenster erschien, richtete er sich kerzengerade
auf. Sie war allein und blickte in die Dunkelheit. Obwohl er wußte, daß sie ihn
nicht sah, hatte er das Gefühl, sie blicke ihm ins Gesicht. Er beugte sich vor
und wollte ihren Namen rufen.
Dann erschien Nat und gab ihr einen Kuß.
Bei diesem Anblick fuhr Tyl wie rasend herum und schlug mit der
Faust so lange gegen die Steine, bis er blutete. Das Licht hinter dem Fenster
verschwand, und er hörte, wie die Läden geschlossen wurden. Er ließ den Kopf an
die Mauer sinken und preßte die Augenlider zusammen. Seine verletzte Hand
schmerzte. Er wollte laut aufschreien. Der Kriegs- und Todesruf der Abenaki
stieg in ihm auf, aber er blieb stumm.
Verzweifelt verließ er die Mauer und lief in den Wald. Er hatte
Angst vor dem, was er tun würde, was er tun wollte ...
Er sah sich bereits, wie er in Nats Haus stürmte, Delia aus dem
Brautbett zerrte und sie davontrug. Er wollte sie immer und immer wieder, bis
seine Bessenheit nachließ und sein Verlangen befriedigt sein würde.
Stumm rannte er durch den Wald, ohne auf die Gefahren zu achten,
die ihn umgaben. Er sah nur Nat vor sich, der seine Delia in den Armen hielt,
der sie voll Leidenschaft küßte und sich mit ihr vereinigte.
Als Tyl die Lichtung erreichte, auf der seine
Blockhütte stand, hörte er das Rauschen des Wassers so laut wie sein Blut. Er
hob den Kopf und starrte auf die schmale Mondsichel. Als der Mond vor seinen
Augen verschwamm und zu tanzen begann, rief er erstickt: »DELIA!«
Die gefühllose Nacht gab ihm keine Antwort. Er sank auf die
feuchte Erde. »Delia«, flüsterte er. »Ich liebe dich nicht. Hörst du mich?«
»ICH LIEBE
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