Penelope Williamson
ihnen über den Weg sprang, konnte sie nicht aufheitern.
Nach einer Weile wurde das Flußufer steil, und
der Pfad führte in den Wald. Die hohen Bäume filterten das Sonnenlicht. Alles
um sie herum wirkte plötzlich merkwürdig grün. Kein Laut war zu hören. Hin und
wieder zirpten leise ein paar Vögel.
Hinter einer Biegung sahen sie plötzlich
wieder den Fluß, und schließlich erreichten sie eine Lichtung. Delia blieb
erstaunt stehen. Vor ihr stand eine kleine Blockhütte mit einer großen
überdachten Veranda. Um die Hütte blühten viele Blumen – blaue Schwertlilien,
Buschrosen und Blaubeeren, die wie ein dicker Teppich wirkten. In der Nähe
rauschte ein kleiner Wasserfall. Dicht am Ufer, wo sich unter den Felsen, über
die der Fluß schäumte, ein kleiner natürlicher Teich gebildet hatte, stand
inmitten von Weiden und Brombeergestrüpp ein hohes, spitz zulaufendes Zelt,
das mit Fellen bespannt war. In solchen Zelten, das wußte Delia, lebten die
Indianer.
Tildy zappelte und wollte sich nicht länger tragen lassen. »Dr.
Tyl, Dr. Tyl, mein Auge tut weh!« rief sie mit durchdringender Stimme. »Bekomme
ich auch ein Plätzchen?«
Eine schwarze Katze lag auf den Verandastufen. Als Tildy sich
näherte, gähnte sie ausgiebig und stand verschlafen auf. Tildy streichelte die
Katze, die ihr um die Beine strich und sich dann schnurrend auf dem Rücken
wälzte.
Delia näherte sich nur zögernd dem kleinen Blockhaus. Sie war
entschlossen, diesmal ganz ruhig und gelassen zu bleiben. Sie wollte sich auf
keinen Fall von Tyl provozieren und zu irgend etwas hinreißen lassen. Aber ihr
Herz klopfte immer lauter, und ihr Atem ging schneller. Vor den Stufen blieb
sie stehen und hob den Kopf.
Er saß auf der Veranda, hatte die Stiefel
gegen das Geländer gestemmt und wippte mit dem Stuhl. Ein leerer Becher lag in
seinem Schoß. Die langen Bartstoppeln verrieten, daß er sich in den letzten
Tagen nicht rasiert hatte. Seine dunklen Haare waren verklebt. Auch auf dem
nackten Oberkörper glänzte Schweiß. Die Tropfen liefen ihm über den flachen,
muskulösen Bauch und hinterließen dunkle Flecken am Hosenbund.
Delia holte tief Luft, als sie sein finsteres Gesicht sah. »Guten
Morgen, Tyl. Dir ist wohl sehr ... heiß.«
»Und du siehst wie aus dem Ei gepellt aus. Das Eheleben scheint
dir offenbar zu gefallen.« Er sprach langsam und schleppend. Seine Augen waren
kaum zu sehen. Delia war entsetzt, daß er so früh am Morgen offenbar schon
betrunken war. Das erinnerte sie schmerzlich an ihren Vater, aber der war
schließlich ein Säufer. Wie konnte Tyl sich nur so gehen lassen?
»Hast du nichts Besseres zu tun, als zu trinken?« rief sie vorwurfsvoll.
Er schien sich über ihren Ärger zu freuen und erwiderte hämisch:
»Ich trinke, weil ich vorige Nacht getrunken habe und auch in der Nacht davor.«
Delia trat auf die Veranda. Sie wappnete sich gegen seine brutal
und schamlos zur Schau gestellte Körperlichkeit. Er wirkte irgendwie
gefährlich – so halb nackt, wie er war.
Ja, er ist gefährlich, leider auch stark, und er ist sich seiner
Wirkung voll bewußt. Wie soll ich mich nur gegen seine Sinnlichkeit wehren,
dachte Delia.
Er sah sie unverwandt an. Die spürbare Glut, die von ihm ausging,
brannte auf ihrer Haut. Sie mußte sich zusammennehmen, denn am liebsten wäre
sie auf der Stelle in die kühle Sicherheit des Waldes geflohen.
»Was führt dich zu mir? Ist das vielleicht ein nachbarschaftlicher
Höflichkeitsbesuch?«
Delia wurde rot. »Nein! Tildys rechtes Auge
ist ... geschwollen.«
Tyl nahm die Füße vom Geländer und stand langsam auf. Er ging die
Stufen nach unten und kauerte sich vor das kleine Mädchen. Vorsichtig nahm er
ihren Lockenkopf in beide Hände und betrachtete sich das Auge.
Jetzt sah Delia zu ihrer Erleichterung, daß seine Betrunkenheit
nur gespielt gewesen war. Er hatte sie damit bestimmt ärgern wollen. Trotzdem
hatte er offenbar in den letzten drei Tagen nicht viel mehr getan, als in der
Sonne zu liegen. Plötzlich wußte sie, daß die Hochzeit der Grund für seinen
miserablen Zustand war. Der Gedanke erfüllte sie mit einer gewissen Genugtuung.
»Es ist ein Gerstenkorn«, erklärte Tyl und legte Tildy die Hand
auf die Schulter.
»Was ist das?« fragte die Kleine. »Kann man
das essen?«
Tyl lachte und schüttelte den Kopf. Delia fragte: »Kannst du ihr
helfen?«
Er legte den Kopf schief und lächelte sie mit blitzenden Zähnen
an. »Es ist schon so gut wie geheilt ...«
Er nahm Tildy
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