Penelope Williamson
hatte. »Das wirst du mir büßen, du Satansbraten!« rief sie der
Ziege schon von weitem zu.
Sie wollte das freche Biest verprügeln, aber
zuerst mußte es ihr gelingen, die schlaue Ziege zu fangen. Delia raste hinter
der Ziege her und wurde immer wütender, weil die spitzen Hufe alles zertrampelten,
was so spärlich auf den Beeten wuchs. In ihrem maßlosen Zorn hörte sie das
Männerlachen zuerst nicht.
Als es ihr schließlich ins Bewußtsein drang, blieb sie wie angewurzelt
stehen und drehte sich verblüfft um. Tyl stand vor dem Haus und lachte. Er
lachte sie aus.
Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem. Er war nackt, das heißt
so gut wie nackt. Er hatte nur die bis zu den Knöcheln geschnürten Mokassins an
und einen Lendenschurz, wie ihn die Indianer trugen. Sie starrte erst
fassungslos auf die langen, behaarten Beine und dann auf die riesige blutende
Keule eines Tiers mit einem schwarzen Fell. Er hatte sich die Keule quer über
die Schultern gelegt, und das Blut rann ihm über die nackte Brust.
Delia blieb im wahrsten Sinn des Wortes der Mund offenstehen. Tyl
hatte sich in einen nackten Indianer verwandelt und lachte aus voller Kehle
über sie.
Mit der Hacke in der Hand ging sie auf ihn zu und rief: »Zum
Teufel, was gibt es da zu lachen?«
Er lachte nur noch lauter. »Ich könnte schwören, meine liebe
Delia, daß du hier in der Wildnis alle guten Vorsätze vergißt, eine Dame der
guten Gesellschaft zu werden.«
Wie kann er wagen, so etwas Unverschämtes zu
behaupten? Er hat sich seit Wochen nicht blicken lassen und redet über »meine
guten Vorsätze«, dachte sie, innerlich schnaubend.
Aber als sie in seine Nähe kam, wich sie entsetzt zurück und hielt
sich die Nase zu. »Das stinkt ja furchtbar!« rief sie.
Tyl sah sie unbeeindruckt von Kopf bis Fuß an.
Sein Blick verweilte auf den zerzausten Haaren, dem rußverschmierten, wütenden
Gesicht und dann auf dem Hackenstiel, den sie zwischen die vollen, runden
Brüste preßte. Es zuckte um seine Mundwinkel, als er ihre nackten
erdverkrusteten Füße sah. Langsam hob er wieder den Kopf und sah ihr dann
unverfroren in die Augen. Er grinste. »Hast du den Schornstein gefegt?«
»Was bildest du dir ein? Warum ... ach verflucht noch mal!« Ihr
fehlten die Worte, aber bei seinem Anblick war das auch nicht weiter
verwunderlich. »Was ist das für schrecklich stinkendes Fleisch?« fragte sie
schließlich.
»Ich dachte, du und Nat, ihr würdet vielleicht gern ein Stück von
dem Bären essen, der euren Mais gefressen hat.«
Delia fiel ein, daß sich Nat vor ein paar Tagen über einen Bären
beklagt hatte, der in ein Maisfeld eingefallen war. Sie betrachtete mißtrauisch
die riesige Keule und verzog das Gesicht. »Was soll ich damit machen?«
»Nun ja ...«, er lächelte anzüglich und sprach betont langsam.
»Zuerst sengst du das Fell ab, dann entfernst du die Haut. Du kannst die ganze
Keule auf einem Birkenholzspieß über der Glut so lange braten, bis das Fleisch
außen knusprig und innen zart und saftig ist. Dann kannst du es essen und
vielleicht dabei an mich denken.«
»Essen?« wiederholte Delia, und ihre Verwirrung wuchs. »Niemals
...!«
Meg war es inzwischen gelungen, die Ziege aus dem Garten zu
vertreiben. Jetzt kam sie mit Tildy an der Hand zu ihnen. Die beiden Mädchen
blickten staunend auf die riesige Bärenkeule.
»Was ist das?« fragte Meg mit kreisrunden
Augen.
»Ein Bär«, erwiderte Tyl freundlich.
»Hast du den großen Bären umgebracht, Dr. Tyl?« wollte Tildy
wissen.
»Ja, stellt euch vor, ich habe ihn mit bloßen Händen erwürgt!«
»Erzähl keine Märchen!« sagte Delia.
Tyl legte den Kopf schief. »Glaubst du mir
nicht?«
Das ist unmöglich ... einfach unmöglich ..., dachte Delia, aber er
ist wirklich sehr stark und mutig. Außerdem hat er bei den Indianern gelebt
...
»Nein, das glaube ich nicht!« erklärte sie
entschlossen.
Er lachte laut. »Du hast recht, Kleines. Ich habe den großen Bären
aus sicherer Deckung hinter einem Felsen erschossen.«
Unwillkürlich stimmten sie alle in sein
ansteckendes Lachen ein.
Du meine Güte, er ist wirklich
unwiderstehlich, dachte Delia und mußte sich eingestehen, daß es hinreißend
war, ihn so unbekümmert zu erleben. Sie hatte sich nach ihm gesehnt und immer
gehofft, ihn am Sabbat im Bethaus zu treffen. Aber jedesmal, wenn sie mit
klopfendem Herzen nach Merrymeeting gegangen war und auf eine zufällige
Begegnung hoffte, etwa bei den Bishops, beim Händler oder in der Mühle,
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