Penelope Williamson
um seine Lippen mit dem
Finger zu berühren. Ich stinke nach Rum, und für ihn bin ich bestimmt nur eine
dreckige Schlampe ...
»Leben Sie allein in Merrymeeting?«
»Meistens ...«
Sie wandte den Blick ab. »Und ... sind Sie
... sind Sie verheiratet?«
Er gab keine Anwort, und Delia verfluchte ihre vorwitzige Frage.
Er verließ seinen Platz am Kamin und trat direkt neben sie. Er war ihr so nahe,
daß sie seine Wärme spüren konnte.
»Ich bin nicht verheiratet«, erwiderte er knapp. »Aber Nat Parker
braucht eine Frau. Wenn du also noch immer bereit bist ...«
Aus einem unerklärlichen Grund begann ihr Herz in seiner Nähe
wieder heftig zu klopfen. Das Blut schoß ihr durch den Körper und rauschte in
den Ohren wie die Wellen am Hafen. Sie hob den Kopf und wollte etwas sagen. Ihr
Blick fiel auf seinen Mund, und die Worte erstarben ihr auf den Lippen.
»Wie ich sehe, hast du es dir anders überlegt. Nun ja, ich kann es
dir nicht verübeln«, sagte er. »Es ist ohnehin eine verrückte Idee. Das habe
ich Nat gleich gesagt. Aber ich möchte dich nicht mit leeren Händen gehen
lassen.« Er suchte in den Taschen seiner Jacke, fand etwas, nahm ihre Hand und
legte eine Münze hinein.
Sie sah einen goldenen Sovereign auf ihrer
Handfläche. Soviel Geld hatte sie noch nie in ihrem Leben besessen. Das Gold
brannte ihr auf der Hand, als sei es noch heiß vom Schmelzen in der Münze.
Sie schloß die Finger und sah ihn an. Er
lächelte, und sie haßte ihn. Sie haßte ihn, weil sie das Geld brauchte –
besonders jetzt brauchte sie es mehr denn je. Und sie haßte ihn, weil er das
wußte, weil er sie bedauerte und glaubte, sie müsse ihm für den Sovereign
dankbar sein. Sie haßte ihn auch, weil sie irgendwie wollte, daß er sie mochte.
»Ich kann ohne Ihr verdammtes Mitleid leben, verdammt noch mal!«
schrie sie und warf ihm die Münze ins Gesicht.
Sie traf ihn an der Wange und fiel auf den Teppich. Delia war
erschrocken über sich und darüber, was sie getan hatte. Sie drehte sich auf dem
Absatz um und wollte davonlaufen.
Er griff nach ihrer Taille. Sie schrie auf,
als sein Arm die geprellten Rippen berührte. Etwas Scharfes schien sich in
ihre Lunge zu bohren. Der Schmerz war so groß, daß ihr schwarz vor Augen wurde.
Sie schwankte, beugte sich vor, preßte die Hand auf die Brust und stöhnte.
Er hatte sie sofort losgelassen, aber jetzt
berührte er vorsichtig ihre Schulter. »Du meine Güte, Delia, was ist denn? Bist
du verletzt?«
Zitternd und mit schmerzverzerrtem Gesicht atmete sie vorsichtig ein.
»Meine Rippen ... Ich glaube, sie sind gebrochen.«
»Kannst du
dich wieder bewegen?«
Sie nickte und richtete sich langsam auf, aber der Schmerz durchzuckte
sie von neuem, und sie rang nach Luft. Er fuhr mit seinen Fingern behutsam über
ihr Zwerchfell, und sie erstarrte, als er die verletzte Rippe berührte.
»Hat dich
jemand geschlagen?«
Sie biß die Lippen aufeinander und nickte. »Mein Vater hat mich
verprügelt. Er wollte unbedingt Bier kaufen.«
»Zieh das
Mieder aus ...«
Entsetzt wich sie vor ihm zurück. »Nein, ihr Männer seid alle
gleich. Ich hasse euch alle!«
»Du meine Güte, Delia, ich bin Arzt. Ich kann dich so nicht richtig
untersuchen. Du mußt dich schon ausziehen. Wenn eine Rippe gebrochen ist, muß
ich dir den Brustkorb umwickeln.«
Sie hatte sich schon wieder vor diesem Mann lächerlich gemacht und
wollte nur noch so schnell wie möglich weg aus diesem Zimmer. Sie wollte vor
ihm fliehen – weit, weit weg, damit sie das Geschehene vergessen konnte.
Aber er war Arzt. Er würde sie nicht einfach gehen lassen. Er
würde sie untersuchen ...
»Also gut, ich ziehe mich aus«, murmelte sie verlegen. »Aber Sie
müssen sich umdrehen.«
Er hob die Augenbrauen, und sie
dachte, er werde etwas erwidern, aber er schwieg und wandte sich ab. Er ging
zum Schreibtisch, wo seine medizinischen Arbeitsmittel lagen. Er nahm ein paar
getrocknete Blätter aus einem Glas und zerstieß sie in einem Mörser. Delia
beobachtete ihn mit angehaltenem Atem.
»Zieh dich aus, Delia«, befahl er, ohne sich
umzudrehen.
Delia wurde rot und begann schuldbewußt, das
Mieder zu öffnen. Ihre Hände zitterten, als sie die Bänder löste und das
Mieder schließlich über die Schultern streifte. Dann ließ sie es auf den Boden
fallen. Sie zog das Unterhemd aus dem Rockbund und vorsichtig über den Kopf.
Auch das Hemd fiel zu Boden. Jetzt stand sie von der Hüfte aufwärts nackt
mitten im Zimmer. Im Kamin leuchtete noch
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