Penelope Williamson
Indianer und weniger wie der geachtete ansässige Arzt.
Als er Delia entdeckte, blickte sie schnell in die andere Richtung.
Er liebt dich, jubelte ihr Herz, wie immer, wenn sie in den
letzten drei Tagen an ihn dachte. Er liebt dich!
Aber danach stellte sich ebenso bitter und grausam die Verzweiflung
ein, so daß sie auch jetzt mit den Tränen kämpfen mußte.
Zu spät, zu
spät, zu spät ...
»Hast du schon einmal ein Hummerfest erlebt?« fragte Nat. Er saß
zur Abwechslung einmal zufrieden und lächelnd neben ihr auf dem Wagen.
Nat, der
Mann, der mich geheiratet hat ...
Delia zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. »Nein,
habe ich nicht. Alle scheinen sich darauf zu freuen.«
»Die Hummer schmecken köstlich.« Er drehte
sich nach Meg und Tildy um, die mit ausgestreckten Beinen auf der Ladefläche
saßen. »Ihr eßt Hummer auch gern. Habe ich recht?«
Sie nickten und kicherten. Nat lachte. Er war
seit der Rückkehr aus Wells sehr viel sanfter geworden. Noch immer wirkte er
steif und ernst, aber die qualvolle Pein war aus seinen grauen Augen verschwunden,
und hin und wieder lächelte er sogar. Delia dachte, er werde über ihren
Leichtsinn mit der Axt schimpfen, aber er schien eher aufrichtig besorgt zu
sein. Damals, als sie bei dem Versuch, Tildys Puppe zu retten, beinahe
ertrunken war, hatte er ähnlich reagiert.
»Du bist wirklich gut, Delia«, hatte er am
Abend zuvor beim Schlafengehen gesagt. »Ja, du bist gut. Das zeigt sich
besonders bei den Kindern. Sie lieben dich ... sogar Meg«, fügte er hinzu und
lächelte schwach. Dann hatten sich seine grauen Augen staunend auf sie
gerichtet, als sehe er sie zum ersten Mal.
Die zehn Meilen zum Strand am offenen Meer
waren eine lange Fahrt, denn der »Weg« zum Strand bestand nur aus zwei ausgefahrenen
Wagenspuren. Als sie schließlich das offene Meer erreichten, sah Delia
staunend, daß während des Sturms tatsächlich Tausende von Hummern und Krabben
an Land getrieben worden waren. Wie ein Teppich bedeckten sie den Strand mit
ihren glänzenden grauen Panzern. Die meisten lebten noch und krochen über den
Sand. Von weitem schien sich die Erde wie in grauen Wellen zu bewegen.
Am Strand angekommen, gingen alle sofort
daran, die Wagen mit Krustentieren zu füllen. Zwei Felsen hatten zusammen mit
anderem Treibgut des Wracks die Kanone im wahrsten Sinn des Wortes
»aufgefangen«. Die gegossene Kanone war ein Dreipfünder. Aufgeregt eilten die
Männer zu diesem zweiten Geschenk und freuten sich, denn ein Schuß mit dieser
Kanone konnte einen ganzen Stamm Indianer abschrecken.
»Wir werden sie mit Ochsen zum Blockhaus
bringen«, sagte Oberst Bishop strahlend. »Sie ist zum Teil vernagelt. Glauben
Sie, Sam, man kann sie wieder zum Schießen bringen?«
Der rothaarige Schmied streichelte beinahe liebevoll
den dicken Lauf. »Ja, aber wir haben keine Munition. Wirklich schade, daß die
Franzosen uns nicht auch noch eine Kiste mit Kanonenkugeln überlassen haben,
wenn sie uns schon ihre Kanone schenken.«
»Wir können sie mit Musketenkugeln laden. Das
kann beinahe ebenso wirkungsvoll sein«, sagte Tyl. Als er sich umdrehte, sah er
gerade noch, daß Delia den Kopf abwandte. »Wir brauchen nur eine Lunte und
Pulver ...«
Als die Wagen mit dem kostbaren lebenden
Dünger beladen waren und der Transport sowie der Einsatz der Kanone zumindest
theoretisch geklärt waren, begann das eigentlich Fest: das Hummerpicknick!
Es war ein schöner Nachmittag für ein Fest.
In den Sommermonaten lag der Strand meist unter einer schmutzig grauen Nebeldecke.
Aber der Sturm hatte den Dunst vertrieben. Das dunkelblaue Meer und der etwas
hellere Horizont trafen sich auf einer messerscharfen Linie. Die Luft war
glasklar, und die Sonne blendete die Augen. Die Möwen segelten strahlend weiß
am wolkenlosen Himmel.
Es wurden mehrere Feuerstellen angelegt. Dazu
teilten sich die Siedler in Gruppen auf. Nat ging mit den beiden Mädchen zu
ihren Nachbarn, den Sewalls, und bald gesellten sich Sam und Hannah Randolf mit
ihren Kindern dazu. Delia staunte, daß Hannah so kurze Zeit nach der Geburt
schon wieder auf den Beinen war. Das Baby lag in einem hübschen Weidenkörbchen,
nuckelte an einem Stück Tuch, das mit Ahornsirup getränkt war, und wurde von
den Frauen und Kindern mit vielen »Ooohs« und »Aaahs« bestaunt. Meg und Daniel
begannen sofort, sich darüber zu streiten, wer den meisten Hummer essen werde.
Delia rechnete damit, daß Tyl früher oder
später auch zu ihrem
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