Penelope Williamson
mir immer noch angst ...«
»Du wirst mich nie ...«
Er legte ihr schnell den Finger auf den Mund.
»Sag es nicht. Du kennst die Zukunft nicht. Der Gedanke, dich zu verlieren, ist
zwar schrecklich, aber nichts könnte schlimmer sein, als dich überhaupt nie
gehabt zu haben. In diesen letzten Monaten, als du mit Nat verheiratet warst
und ich wußte, daß du mit ihm in einem Bett liegst, und ich keine Möglichkeit
mehr haben würde, dich zu bekommen ...« Ein Schauer durchlief ihn. »Ich habe
noch nie solche Höllenqualen gelitten.«
Delia wollte ihm gestehen, daß ihre Ehe mit Nat nie vollzogen
worden war. Doch sie fand, daß dies für Nat noch im nachhinein peinlich gewesen
wäre. Er war tot, aber sie war es ihm schuldig, seinen Stolz zu wahren. Statt
dessen sagte sie: »Jetzt hast du mich, Tyl, solange wir leben.«
»Ja, jetzt habe ich dich, Delia. Du bist meine Frau, meine Geliebte.«
Er rieb sein Gesicht an ihren Haaren und zog sie eng an sich. »Und selbst wenn
ich dich nach dieser Nacht, nach diesem Augenblick nie mehr haben sollte, wirst
du die Frau meiner Seele bleiben ... die Hüterin meines Herzens.«
Seine Worte waren für sie mehr als ein Trost oder eine Erklärung,
denn zum ersten Mal glaubte sie tatsächlich, daß er sie liebte. Delia seufzte.
»Es kommt mir so unwirklich vor ... daß wir wirklich verheiratet sind.«
»Es ist wirklich. Aber wenn es dich glücklicher macht, werde ich
dich auch auf die Art der Yengi heiraten, wenn wir zurück in
Merrymeeting sind. Danach wirst du ein Dutzend Kinder bekommen – natürlich
eins nach dem anderen.«
»Ein Dutzend!« Sie lehnte sich zurück und funkelte ihn an. »Tyl,
du willst wohl, daß ich den Rest meines Lebens schwanger bin?« Er drückte sie
an sich. »Hm, ja, so ungefähr ...«
Plötzlich ertönte in einem der Langhäuser hinter ihnen ein Schrei.
Sie hörten das Geräusch rennender Füße und lautes Rufen. Die Hunde begannen zu
bellen, und bald wurde es im Dorf lebendig.
Tyl hob den Kopf und erstarrte in ihren
Armen.
»Tyl, was ist los?«
Er warf das Fell schnell in den Wigwam, nahm sie bei der Hand und zog
sie mit sich in Richtung Langhaus, aus dem immer noch laute Schreie drangen.
»Es ist Elizabeth!« rief er über die Schulter, während sie
rannten.
Delia sah, daß selbst Tyl nicht auf das
vorbereitet war, was sie in der Hütte erwartete. Elizabeth lag auf
blutgetränkten Fellen. Die weiße Haut spannte sich dünn wie Pergament über ihre
hervortretenden Wangenknochen. In kurzen Abständen griff sie an ihren
Unterleib und stieß dabei einen markerschütternden Schrei aus.
»Gütiger Gott!« murmelte Tyl und kniete neben
der verzweifelten Elizabeth nieder. Er betrachtete sie einen Augenblick ohne
etwas zu unternehmen. Als Delia auf die andere Seite ging und ihn ansah, stand
auf seinem Gesicht Erschrecken.
Elizabeth begann wieder zu schreien, und Delia schlug entsetzt die
Hände vor das Gesicht. »O Gott, Tyl, wird sie sterben?«
»Nein«, sagte er, und es klang wie ein Befehl. Plötzlich löste
sich seine Starre, und er beugte sich über sie. »Nein, sie wird nicht sterben,
und sie wird auch das Kind nicht verlieren.«
Plötzlich wehte ein kalter Luftzug, und der
Teufel erschien in einer Schwefelwolke. Vor Entsetzen blieb Delia beinahe das
Herz stehen.
Tyl sagte etwas in Abenaki, und sie sah, daß es sich bei der
gespenstischen Erscheinung um eine Art Medizinmann mit geschwärztem Gesicht
handelte. Der unheimliche Mann hielt ein Gefäß mit Löchern in der Hand, aus
denen dicker, stinkender Rauch aufstieg. Er kniete neben Tyl, hielt eine Rassel
vor Elizabeths Gesicht und murmelte eine Beschwörung.
Elizabeths blaugeäderte Lider öffneten sich. Ihr Blick richtete
sich auf den Medizinmann, und sie schrie auf.
Delia umklammerte ihre zitternde Hand. »Tyl, sag ihm, er soll
weggehen. Er hat sie zu Tode erschreckt.«
»Nein, ich brauche ihn. Er versteht mehr vom
Heilen, als ich in meinem ganzen Leben lernen kann.« Er faßte Delia mit seinen
starken Händen an der Schulter. »Es tut mir leid, Liebes, aber du bist
hier im Weg.« Er lächelte sanft. »Wenn du dich nützlich machen willst, kannst
du uns mit heißem Wasser versorgen.«
Für den Rest der Nacht und den ganzen
folgenden Tag kämpften Tyl und der Schamane um Elizabeths Leben. Delia hielt
sich gehorsam fern, außer wenn noch mehr Wasser oder frische Tücher benötigt
wurden. Zum ersten Mal bekam Delia eine Ahnung davon, welchen Mut und welche
Kraft Tyl als Arzt aufbringen
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