Penelope Williamson
mußte. Er schien mit Elizabeth zu leiden, und sie
wußte, der Verlust eines Patienten, ganz gleich, wie alt oder krank er sein
mochte, traf ihn wie ein persönliches Versagen.
Die Sonne ging gerade unter, als Tyl plötzlich
neben sie trat. Er legte die Arme um sie und klammerte sich zitternd vor
Erschöpfung an sie.
Er seufzte mit dem Mund in ihren Haaren. »Sie wird es schaffen,
Liebes.«
Tränen der Erleichterung brannten in Delias Augen. »Und das Kind?«
Er lachte unsicher. »Das kleine ungeborene
Ding ist ein Kämpfer. Ich kann nicht glauben, mit welcher Macht er sich an das
Leben klammert. Aber, Delia ...«, er trat einen Schritt zurück, damit er ihr
Gesicht sehen konnte, und strich ihr die Haare aus der Stirn, »wenn das Kind
überhaupt eine Chance haben soll, muß es noch mindestens drei Monate im
Mutterleib bleiben. Und es wird nicht leicht sein, das Kind dort zu halten.«
Sie umfaßte die Hand an ihrem Gesicht. »Das heißt, wir können
nicht nach Hause?«
»Nicht vor dem Frühjahr.«
25
Tyl betrachtete aufmerksam die gespaltenen Hufabdrücke, die der Elch
hinterlassen hatte. Sie waren frisch, denn die zusammengepreßten
Schneekristalle funkelten hell in der fahlen Wintersonne. Er lächelte. Die Jagd
würde bald zu Ende sein, und er wollte unbedingt zurück ins Dorf.
Auf den breiten, flachen Schneeschuhen, die
aus gebogenen und mit Tierhäuten bespannten Holzrahmen bestanden, glitt er mühelos
und in schnellem Tempo über den tiefen weichen Schnee. Er sah, daß die Spur um
zwei Birken herumführte, die etwa seine Körperlänge voneinander entfernt
standen, und er wußte, daß es sich bei dem Elch, den er verfolgte, um einen
großen Bullen handelte. Die Schaufeln waren so ausladend, daß der Elch nicht
zwischen den Bäumen hatte hindurchgehen können.
Tyl schlug einen weiten Bogen und erreichte
das Ufer eines zugefrorenen Sees. Dort suchte er Schutz in einem verschneiten
Tannendickicht. Vor ihm erstreckte sich das flache leere Eis, das im weißen
Winterlicht gespenstisch grün aussah. Aus der Ferne glich der Mann dem Tier,
das er jagte, denn er trug einen dicken Umhang aus Elchfell und auf dem Kopf
ein Geweih. Er setzte eine Pfeife aus Birkenrinde an den Mund und brachte den
tiefen, röhrenden Ruf eines Elchbullen hervor. Dann richtete er sich darauf
ein, mit der Geduld und Ausdauer, die er schon als Junge gelernt hatte, zu warten.
Nachdem er sich nicht mehr bewegte, spürte Tyl jedoch die eisige
Kälte. Die rauhe Luft stach wie Nadeln, und trotz der mit Hirschhaaren
gefütterten Mokassins wurden seine Füße schnell gefühllos. Lange flache Wolken
schwebten übereinander gestaffelt am Himmel. Es würde bald wieder schneien. Er
konnte den Schnee riechen und spürte ihn auch daran, daß seine Nase erstarrte.
Plötzlich brach ein Baum, der die Last des
Schnees nicht länger tragen konnte, mit einem lauten Knall, der an einen
Gewehrschuß erinnerte, mitten entzwei. Ein Schneehase floh erschrocken mit
großen Sätzen und gestreckten langen Hinterbeinen über den gefrorenen See. Tyl
bewegte sich nicht. Er hörte schon seit einiger Zeit den Elch, der durch die
feuchten Schneewehen in seine Richtung stapfte.
Als der Elch zwischen den Bäumen hervortrat, nahm er mit dem
großen erhobenen Kopf Witterung auf. Tyl hob den kurzen Bogen und legte einen
Rohrpfeil auf die Sehne. Der Elch drehte den Kopf. Mensch und Tier, Jäger und
Beute sahen sich an.
Tyler Savitch spannte die Sehne und schoß den
Pfeil ab.
Der mit Adlerfedern befiederte Pfeil traf
sein Ziel. Er drang in den massigen Nacken des Tieres, und aus der
Halsschlagader schoß das Blut wie die Fontäne eines Wals in die Luft. Der
riesige Elch schwankte, die Vorderbeine gaben unter ihm nach, und er sank sterbend
in den tiefen Schnee. Der Jäger warf den Kopf zurück und dankte mit dem uralten
Gesang der Abenaki dem Geist der Tiere für das Geschenk. Die kehligen Laute
schienen vom Himmel widerzuhallen.
Tyl häutete und zerlegte den Elch an Ort und
Stelle. Einen Teil der Eingeweide und etwas Fleisch ließ er für Raubvögel und
Tiere zurück, mit denen er das Jagdrevier teilte. Er mußte das zerteilte
Fleisch zwei Meilen zu der Stelle tragen, wo er seinen Tobogan zurückgelassen
hatte. Er packte das Fleisch in Taschen aus enthaarter Büffelhaut und hielt
die schwere Last mit einer dicken Rindenbastschnur auf seinem Rücken fest. Er
mußte den Weg dreimal machen.
Nachdem er das Fleisch auf den Schlitten geladen hatte, kam er
sehr viel leichter
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