Penelope Williamson
sie, daß er schlief.
Tyl gab Delia am nächsten Morgen keine Gelegenheit, mit ihm darüber
zu streiten, ob sie mit ihm reiten oder zu Fuß gehen würde. Als sie vor das
Wirtshaus trat und anfing, sich bei dem Wirt über die klumpige und verlauste
Matratze zu beschweren, auf der sie hatte schlafen müssen, packte er sie mit
beiden Händen um die Hüfte und hob sie in den Sattel.
Delia klammerte sich verwirrt am Sattelknauf fest und blickte
fassungslos auf Tyl hinunter. Er sah an ihrem Gesicht, wie der Zorn in ihr
aufstieg, und hob die Hand.
»Kein Wort«, befahl er. »Ich möchte kein einziges Wort von dir
hören.«
Sie öffnete den Mund, schloß ihn aber wieder und lächelte. »Ach,
ich wollte nur 'guten Morgen' sagen.«
Tyl zog finster die Stirn in Falten.
Er war nicht in bester Stimmung. Zum zweiten
Mal hatte er von ihr einen Korb bekommen und sich wieder einmal eine Nacht um
die Ohren geschlagen, in der ihn ihre sinnliche Stimme und ihre vollen Lippen
verfolgten. Es war schlimm genug, daß er ein Mädchen
aus einer billigen Kneipe begehrenswert fand, aber daß sie ihn abwies ... das
konnte er einfach nicht glauben. Er hatte angenommen, er gefalle ihr und sie
suche noch einmal ihr Vergnügen, bevor sie eine sittsame Ehefrau wurde. Bis zu
dem Augenblick, als sie ihm die schallende Ohrfeige gegeben hatte, war er
davon überzeugt gewesen, daß sie sich mit ihm vergnügen wollte.
Bedauerlicherweise war die Erkenntnis seines Irrtums schon reichlich spät
gekommen.
Es hatte in der Nacht geregnet. Dicke dunkle Wolken hingen tief am
Himmel. Wasser tropfte von den Bäumen und vom Dach des Wirtshauses. Im
schlammigen Hof standen große Pfützen. Der Regen setzte von neuem ein, als Tyl
den Wirt bezahlte. Elizabeth saß zusammengesunken auf dem Wagen und sah zu, wie
Caleb die Ochsen anspannte. Sie hatte die Lippen fest zusammengepreßt und die
Kapuze ihres Umhang tief ins Gesicht gezogen.
Nachdem sich Tyl von dem Wirt verabschiedet hatte, trat Caleb zu
ihm und fragte: »Wie weit müssen wir heute kommen?« Er warf einen besorgten
Blick auf seine Frau und sah dann Tyl fragend und mit hochgezogenen Augenbrauen
an.
»Ich möchte zumindest das andere Ufer des Merrimack erreichen«,
antwortete Tyl.
Caleb räusperte sich und starrte auf die
schlammige Erde. »Nun ja, ... ich meine, wie lange werden wir unterwegs sein?
Elizabeth ist, hm ...«
Tyl unterdrückte einen Seufzer. Bei dem Tempo würden sie den
ganzen Sommer unterwegs sein. »Wir werden uns nicht überanstrengen, Reverend«,
sagte er dann jedoch beruhigend.
Caleb nickte erleichtert und ging zu seiner Frau. Er lächelte ihr
aufmunternd zu und rief: »Keine Angst, Lizzie, heute werden wir uns nicht
übernehmen. Der Doktor hat es mir versprochen ...«
Sie hob den Kopf und warf einen trübsinnigen Blick auf die
bedrohlichen Wolken. »Wahrscheinlich wird es den ganzen Tag regnen ...«
Caleb lächelte unbekümmert. »Na ja, dann werden uns wenigstens
die Fliegen in Ruhe lassen, mein Schatz.«
Tyl verknotete den Zaumzügel des Packpferds
sorgfältig am Ochsenwagen und ging dann zu seinem Hengst, auf dem Delia saß.
Sie lächelte ihn so bezaubernd an, daß es ihm einen Augenblick den Atem nahm.
Beinahe hätte er ihr Lächeln erwidert. Statt dessen rief er sich energisch zur
Ordnung, zurrte ihren Sack hinter dem Sattel fest, löste die Zügel vom Balken
und führte das Pferd aus dem Hof hinaus.
»Reiten wir nicht zusammen?« fragte Delia.
Er schüttelte nur den Kopf und dachte ärgerlich: Wie soll ich es
ertragen, wenn sie ihre Brüste an meinen Rücken drückt, ihre Hände sich um
meine Hüfte legen und ihr Atem meinen Nacken streift?
Bereits der Gedanke daran trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
Selbst wenn es ununterbrochen regnen sollte, würde das nicht genügen, um seine
Gefühle abzukühlen.
Wasser sorgte in der Tat dafür, daß sie die
Reise bereits am frühen Nachmittag abbrechen mußten. Sie erreichten ohne
größere Zwischenfälle den Merrimack. Der Fluß war jedoch zu tief und zu breit,
um ihn mit dem Ochsenkarren zu überqueren. Die Fähre war nicht zu sehen. Am
Landesteg hing eine Glocke. Tyl läutete lange. Als nach fünf Minuten keine
Antwort kam, rief er laut nach dem Fährmann, aber er wußte, es war
aussichtslos. Der alte Säufer, dem die Fähre über den Merrimack gehörte, war
ein Starrkopf und hatte seine eigenen Vorstellungen, wann er wen über den Fluß
brachte.
»Wir müssen offenbar auf dieser Seite das Lager aufschlagen«,
sagte Tyl
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