Penelope Williamson
Delia, eines Tages wirst du deine vorwitzigen Fragen noch
einmal sehr bereuen.«
»Liebst du sie?«
Sie sah ihn unbewegt an. Er erwiderte den Blick und verzog spöttisch
den Mund. »Jetzt fang nicht schon wieder mit deiner ewigen Eifersucht an. Aber
wenn es dich beruhigt, dann kann ich dir sagen: Susan und ich sind einfach nur
gute Freunde.«
Sie würde das bestimmt nicht so sehen, dachte Delia, aber sie
schwieg. Schließlich sagte sie: »Susan ist hübsch.«
»Ja, sie ist hübsch ...« Er griff nach Delias Hand und drückte sie
an seine Lippen. Seine Augen blitzten. »Aber du bist auch hübsch.«
Sie seufzte und hatte nichts dagegen, daß er
ihre Hand nicht mehr loslief?, als sie durch das alte Fort gingen. Irgendwie
hatte sie das Gefühl, mit ihm auf diese Weise verbunden zu sein. Sie spürte die
Kraft seiner Finger und seiner Muskeln, als er ihr über die umgestürzten Stämme
half. Seine Haut war warm, und der Druck seiner Hand wirkte tröstlich und
beschützend. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher und zufrieden. Sie atmeten
ganz selbstverständlich im selben Rhythmus, und Delia hätte gerne gewußt, ob
auch ihre Herzen im selben Takt schlugen. Alle Spannungen und Ängste schwanden,
und sie hatte das Gefühl, Hand in Hand mit Tyl bis in alle Ewigkeit laufen zu
können.
»Hier stand einmal das Fort Loyal.« Tyl deutete auf die umgestürzten
Palisaden und ein eingestürztes Blockhaus. »Im letzten Krieg gegen die Indianer
wurde es zerstört und danach nicht wieder aufgebaut. Es hat ohnehin nie viel
genützt.«
Eine einzige Kanone hatte man zurückgelassen. Sie lag umgestürzt
und völlig verrostet auf der Erde. Tyl blieb stehen und blickte mit
zusammengekniffenen Augen nach Falmouth Neck, wo hintereinander in langen
Reihen Trockengestelle standen. Sie dienten dazu, den Kabeljau zu trocknen, der
dann eingesalzen in Fässern auf den Schiffen um die Welt segelte. Männer,
Frauen und auch ein paar Kinder liefen zwischen den Gestellen und wendeten die
Fische. Der tranige Kabeljaugeruch hing über der ganzen Bucht. Daran konnte
auch der böige Wind nichts ändern.
Er seufzte und lehnte sich gegen den in den Himmel weisenden Lauf
der alten Kanone. Dann zog er Delia an sich und legte seine Hände hinter ihren
Nacken. Der Wind bauschte ihren Rock, in dem seine Beine verschwanden. Seine
Hände sanken tiefer bis auf ihren Rücken und drückten sie enger an ihn. Die
pulsierende Wärme seines Körpers machte sie benommen. Ihre Kehle wurde
trocken, und sie wagte kaum noch zu atmen.
Um sich abzulenken, richtete sie den Blick
auf die Bucht und auf das dahinterliegende offene Meer. »Früher wollte ich
immer weit, weit weg ...«, murmelte sie. »Ich sehnte mich nach Abenteuern, und
ich träumte mich dorthin, wo es etwas zu erleben gab ... zum Beispiel nach
Indien oder nach England.« Sie lachte leise. »Und jetzt bin ich hier und werde
morgen nach Merrymeeting fahren. Das klingt für mich im Grunde genauso fremd
und fern, denn bevor wir uns begegnet sind, hatte ich noch nie etwas von diesem
Ort gehört.« Nach einem kurzen Schweigen fügte sie leise hinzu: »Aber jetzt
finde ich es überhaupt nicht abenteuerlich oder aufregend. Im Grunde habe ich
nur Angst.« Sie sah ihn fragend an. »Tyl, was für Wünsche hattest du früher?«
Er schwieg lange, dann antwortete er: »Ich hatte nie die Zeit,
Wünschen nachzuhängen oder Träumen.«
Aber Delia glaubte ihm nicht. Als er sprach, blickte sie auf
seinen Mund und erinnerte sich daran, daß sie von Anfang an seine Lippen hatte
berühren wollen.
Jetzt tat sie es.
Unter ihrer Fingerspitze bewegte er den Mund. »Du bist einfach
davongelaufen, ... du wolltest, daß ich dir folge.«
»Ja«, gestand sie. »Ja, das stimmt.«
»Und ich bin dir gefolgt.« Er richtete sich auf und preßte sie
ungestüm an sich. »Und du weißt genau, warum ...«, murmelte er.
»Warum?« fragte sie und wollte, daß er ihr die Antwort nicht nur
mit Worten gab.
Und das tat er.
Er nahm sie in die Arme und küßte sie.
Die Sprache seiner heißen Lippen verriet
Verzweiflung. Er erzwang sich mit seiner fordernden Zunge den Zugang zu ihrem Mund.
Diesmal hinderte sie ihn nicht daran. Sie hoffte nur, sein Kuß werde nie
aufhören.
Ihre Hände gruben sich in seine feuchten
Haare. Sie rang nach Luft, riß seinen Kopf zurück und drückte ihre Lippen auf
die weiche Vertiefung an seinem Hals. Sein Puls zuckte unter ihrem Mund, und
sie spürte sein tiefes Atmen als Vibrieren auf der Haut.
Er preßte die
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