Penelope Williamson
oder seinem
Zukünftigen. Das war ebenso unschicklich wie das Lachen über die eigenen
Pointen, wie das Gähnen in der Kirche oder ein neugieriger Blick auf einen
Fremden. So etwas tat man einfach nicht.
Sie und Geoffrey würden als
Ehepaar zusammenleben. Sie würden gemeinsam alle Feste und gesellschaftlichen
Ereignisse besuchen, sie würden sonntags zusammen in die Kirche gehen und nie
über die Dinge sprechen, die wirklich von Bedeutung waren. Emma würde ihn wie
jetzt aufmerksam, aber stumm beobachten, um zu sehen, welche Entscheidungen er
traf, denn seine Entscheidungen würden ihr zukünftiges Leben beeinflussen.
Geoffrey
würde erwarten, daß sie seine Entscheidungen billigte, solange er ihr so viele
Kleider von Worth und soviel Schmuck von Fabergé kaufte, wie es ihrer
gesellschaftlichen Stellung angemessen war.
Und so würde sie auf dem
glitzernden Karussell der guten Gesellschaft sitzen und sich munter und
anmutig im Kreis drehen – immer nur im Kreis drehen.
Sie konnte
das Karussell nicht verlassen, das sich drehte und drehte und sich doch nicht
von der Stelle bewegte. Und sie würde immer genau wissen, wie ihr Leben sich
gestaltete. Niemand in ihren Kreisen erwartete, daß sie sich leidenschaftlich
lieben würden. Leidenschaftliche Liebe? Nein, das schickte sich einfach nicht.
Achtzehntes Kapitel
Der Kies knirschte unter Brias Schuhen, als sie am Strand
entlangging. Es war eine milde Mainacht. Ein leichter warmer Wind wehte. Doch
er war nicht annähernd laut genug, um Brias schweres Atmen zu übertönen.
Sie lief
seit einer Stunde auf diesem kleinen Stück der Welt hin und her. Von Zeit zu
Zeit blieb sie stehen und blickte über den Hafen hinüber zum Poppasquash Point.
An diesem Abend strahlte das silberne Haus festlich im Lichterglanz.
Es
erschien ihr wie ein Wunder, wenn sie sich vorstellte, daß Emma dort war und
mit Diamanten im Haar in einem prächtigen Ballsaal tanzte. Die Frau auf dem
Fest war nicht die Emma, die sie kannte, die mit ihr zusammen Bettwäsche
gewaschen und Himbeeren gepflückt hatte, die von Spiegelbildern des Herzens gesprochen
und ihre Hand gehalten hatte, als sie weinte.
Bria hatte
Emma seit über einer Woche nicht gesehen, und sie fragte sich, weshalb. Doch
Emma hatte noch ein anderes Leben, ihr eigentliches Leben, wie sie es
häufig nannte. Es war ein Leben voller Aufgaben und gesellschaftlicher
Pflichten. Dazu gehörte, daß sie mit kostbarem Schmuck im Haar in prächtigen
Ballsälen tanzte.
Es war nur
..., es war nur ...
Bria wünschte sich, Emma wäre
in diesem Augenblick bei ihr, um ihre Hand zu halten, falls sie weinen mußte.
Sobald
Bria daran dachte, kamen die Schmerzen wieder. Sie überfielen den Rücken,
griffen um ihre Hüften und zogen ihren Bauch krampfhaft zusammen. Bria blieb
stehen, und ihr Atem wurde flacher.
Ihr Kind
würde in dieser Nacht kommen.
Das Kind ...
Wie seltsam, dachte Bria,
Liebe, Leidenschaft, Vergewaltigung und Hurerei enden immer gleich – mit einem
Kind, das voller Leben im Leib der Mutter heranwächst.
Nachdem der
Friedensrichter sie über die Mauer gelegt und wie ein Hund genommen hatte, war
sie zum Heiligtum in Slea Head gepilgert. Sie hatte aus der heiligen Quelle
getrunken, gebetet und Gott angefleht, daß trotz der Vergewaltigung ihre
Blutungen einsetzen würden. Sie wand den Rosenkranz um den heiligen Dornbusch,
umschritt bei Sonnenaufgang dreimal das Kreuz und bat Gott, daß sie anfangen
würde zu bluten. Das tat sie drei Tage lang, und am letzten Tag setzte die
Blutung ein. Da wußte sie, daß es kein Kind der Schande geben würde. Das war
damals ihre Rettung gewesen.
Jetzt, drei Jahre später, bat
sie um etwas anderes. Sie betete, Gott möge dem Kind in ihrem Leib die
schwarzen Haare und die grünen Augen seines Vaters, der vielleicht nicht sein
Vater war, geben.
Sein Vater,
der Mann, der vielleicht sein Vater war, hatte blonde Haare und graue Augen
gehabt. Soviel wußte sie, doch an sein Gesicht konnte sie sich nicht mehr
erinnern. Jedesmal, wenn sie versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, sah sie
nur das Lachen eines Clowns mit weißen Lippen. Es war das Clownsgesicht auf
einem Varieté-Plakat, das in Castle Garden an einer Tür gehangen hatte.
Castle
Garden – alle Einwanderer auf dem Weg nach New York, nach Amerika, mußten
zuerst dort von den Behörden abgefertigt werden. Dieser demütigende Abschnitt
der langen Reise war wie ein Topf voller Gerüche gewesen: der scharfe Geruch
der Knoblauchwurst, die aus
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