Penelope Williamson
bevorstand, denken? War er
eifersüchtig, fand er sich einfach mit seinem Schicksal ab oder freute er sich?
Aber Stuarts Interesse an den
Liebenden erlosch. Er wandte sich wieder ihr zu, und Maddie fürchtete
plötzlich, er könnte ihre bitteren und neidischen Gefühle erraten.
»Sie sehen wirklich aus, als
seien sie füreinander geschaffen«, sagte sie, und es klang etwas zu laut, so
daß ihre Worte in dem hohen holzgetäfelten Raum hallten.
Mit übertriebenem Staunen fragt
er: »Aber sind sie wirklich füreinander geschaffen?«
»Sie lieben
sich mit Sicherheit.«
»Er liebt
sie, zumindest behauptet er das, und dies eine Mal glaube ich, daß er nicht
lügt.« Er lächelte verschmitzt, und Maddie traten Tränen in die Augen. »In der
Tat scheint seine Liebe die Variante zu sein, bei der ein Mann buchstäblich und
metaphorisch den Kopf verliert.«
Er schwieg
einen Augenblick, dann hob er mit einer eleganten Bewegung die Schultern. »Aber
liebt sie ihn – über alles, leidenschaftlich und hingebungsvoll? Glaube
mir, wenn man in der Frau, die man liebt, keine Leidenschaft wecken kann, dann
ist das für beide fatal.«
Aber nicht
so fatal, dachte Maddie, wie wenn man einen gelähmten nutzlosen Körper besitzt,
der bei dem Mann, den man liebt, nur Mitleid hervorrufen kann. Oder wenn man
ihm tatsächlich einmal etwas bedeutet hat, dann vielleicht sein Bedauern.
Die Tränen drohten zu fließen.
Sie drehte unglücklich das Gesicht zur Seite und starrte auf die Spitzen ihrer
Pantoffeln, die unter der Decke hervorragten. Sie spürte wieder den weißen
Nebelschleier, der sich auf sie herabsenkte. Diesmal hatte sie nichts dagegen.
Wieder zuckte sie zusammen, als
er sich vorbeugte. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und kam ihr so nahe,
daß sich ihre Gesichter beinahe berührten.
»Hast du
etwas eingenommen?« fragte er.
»Was?«
»Deine Augen sind nur noch zwei
schwarze Löcher. Du kannst dich nicht konzentrieren und fängst ständig an zu
träumen.«
Er kam ihr
noch näher, so nahe, daß seine Haare ihre Wange berührten. Er konnte es
riechen. »Bei Gott, Chloralhydrat. Ich nehme an, dieser Quacksalber von einem
Arzt, euer Onkel Stanton, gibt dir das Zeug wie Lutschbonbons.«
Sie wollte ihm ausweichen, aber
die Rückenlehne des Rollstuhls ließ es nicht zu.
»Ich nehme es als Mittel gegen
den Schmerz in meinen Beinen«, erwiderte sie mit brüchiger Stimme. »Du tust
gerade so, als ... das ist völlig in Ordnung.«
Er
schüttelte den Kopf. »Ich weiß alles über Chloralhydrat, Maddie. Sie haben es
mir im Irrenhaus verabreicht.« Er lehnte sich etwas zurück, aber sein harter
Blick ließ sie nicht los. »Dieses Zeug hat dazu geführt, daß ich nach meiner
Zeit im Irrenhaus zu noch schöneren und besseren Träumen Zuflucht nahm.
Vielleicht bringe ich bei meinem nächsten Besuch meine Pfeife mit. Dann können
wir zusammen auf den Wolken der Freude davonschweben.«
Sie
verstand nicht genau, wovon er redete, doch es klang irgendwie ungut. Sie sah
ihn an. Sie liebte ihn und fürchtete sich vor ihm. Vermutlich wußte er das. Sie
ließ sich nicht von ihm ablenken. Sie wollte die Wahrheit über ihn wissen. Und
das Wunder geschah. Sie entdeckte für den Bruchteil einer Sekunde einen Spalt
in der Schattenwand, die über seinen grauen unbewegten Augen lag. Ihr brach
das Herz noch einmal angesichts dessen, was sie in Stuart Alcott sah: Schmerz,
Leere und Niederlage.
Mit solchen gequälten Augen
hatte auch Willie sie angesehen, bevor er sich das Leben genommen hatte, bevor sie ihn dazu gebracht hatte, sich das Leben zu nehmen. Es war ihnen nie möglich
gewesen, miteinander darüber zu sprechen, was an jenem schrecklichen Wintertag
geschehen war. Aber das war nicht notwendig
gewesen, denn auch wenn sie nie darüber geredet hatten, so hatte Willie ihr ins
Herz gesehen und dort die häßliche Wahrheit gefunden. Sie konnte ihm nicht
verzeihen, was er ihr angetan hatte.
Willie war tot und ihr für ewig
genommen, aber Stuart war ihr nahe genug, um ihn berühren zu können. Das tat
sie. Maddie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. Sie spürte die harten
Muskeln und seine Wärme durch den dünnen Stoff der Hose. »Warum bist du so
anders? Was ist geschehen, Stuart?« fragte sie, ohne genau zu wissen, was sie
von ihm hören wollte. Vielleicht wollte sie von ihm wissen, was mit ihr, was
mit ihnen allen geschehen war.
Er legte
seine Hand auf ihre. Ihre Hand begann zu zittern, als besitze sie einen eigenen
Willen und habe sich
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