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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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entrollenden
Blättern des Farnkrauts blühten rosarote Primeln.
    Am
Ende der Straße öffnete sich der Wald, und vor ihr lag die glitzernd blaue
Bucht. Der Anlegeplatz der Fähre war wie ausgestorben. Sie band das Pferd an
einem der Eisenpfähle am Ufer fest und ging auf dem Holzsteg am Ufer entlang.
Die Federn an ihrem Hut bewegten sich im Wind.
    Sie blieb
stehen und beobachtete zwei Schnepfen, die im Schlamm nach Nahrung suchten. Die
weißgestreiften Federn leuchteten in der Sonne. Ein Windstoß riß ihr beinahe
den Hut vom Kopf. Als sie mit der Hand schnell nach ihm griff, um ihn
festzuhalten, flogen die Vögel erschrocken auf.
    Sie flogen dicht nebeneinander
im Zickzack über den blauen Himmel. Plötzlich hallten kurz hintereinander zwei
Gewehrschüsse durch die Luft, und die Vögel fielen wie Steine zu Boden.
    Ein Mann
kam unter den Bäumen hervor und ging über den nassen Sand. Sie erkannte ihn an
der Größe und an seiner lässigen, überheblichen Art, sich zu bewegen. In einer
Hand trug er ein Gewehr, ein zweites hing an einem Gurt über seiner Schulter.
    Als er die Stelle erreichte, wo
die Vögel lagen, blieb er stehen. Emma dachte nicht bewußt daran, einen Schritt
vor den anderen zu setzen, aber plötzlich stand sie neben ihm.
    Sie
musterte das sonnengebräunte Gesicht, mit der etwas schiefen Nase, den Narben
und den faszinierenden Augen. Dann richtete sie den Blick auf die toten Vögel.
Schnepfen waren wegen ihrer geringen Größe als Jagdbeute nicht sonderlich
begehrt, aber nur ein Könner durfte hoffen, sie im Flug zu treffen.
    Er hatte
ihnen die Köpfe abgeschossen.
    Langsam wanderte ihr Blick von
den Stiefeln an dem großen Körper nach oben zum Gesicht. Er lächelte. Sein
Lächeln war wie ein Wetterleuchten – ein plötzliches Zucken.
    »Wenn Sie
die Vögel mitnehmen würden, dann wären ich und auch einige meiner kleinen
Freunde Ihnen sehr dankbar«, sagte er in seiner rauhen Stimme, die fast wie ein
Knurren, fast wie ein Flüstern klang.
    »Wie
bitte?«
    Emma blickte von ihren
Seidenhandschuhen auf die toten Vögel und dann wieder auf ihn. Aber er
entfernte sich bereits und ging über den nassen Sand zurück zum Wald, aus dem
er gekommen war.
    Sie packte
die beiden Schnepfen mit einer Hand an den Beinen. Mit der anderen hob sie den
Saum ihres zitronengelben Organdykleids, verließ den Holzsteg und folgte ihm.
Erst als sie sehr viel später an diesen Augenblick zurückdachte, fragte sie
sich, woher sie diesen tollkühnen, ungewöhnlichen Mut genommen hatte.
    Sie
folgten einer alten, zerfallenen Mauer, die durch den Wald führte. Riesige
Eichen spendeten lichtdurchbrochenen Schatten. Ihre Schuhe versanken im weichen
grauen Moos.
    Sie erreichten einen Bach, der
unter einem Teppich üppig wuchernder Mantelblumen beinahe verschwand. Er
stapfte geradewegs durch das Wasser.
    »Warten Sie!« rief Emma ihm
nach, aber er verlangsamte nicht einmal seinen Schritt oder sah sich nach ihr
um.
    Sie hob den Rocksaum noch höher
und setzte die Füße ins Wasser, das eiskalt durch die Lederschuhe drang. Sie
waren bislang noch weiß gewesen, aber jetzt schlammig braun.
    »Das ist
Wahnsinn«, sagte sie laut. »Sie sind verrückt!« rief sie ihm nach. Aber er ging
unbekümmert mit großen Schritten weiter. »Ich folge einem verrückten Iren, der
Vögeln die Köpfe abschießt, und ich weiß nicht einmal, wohin. Ich kenne nicht
einmal seinen Namen.«
    Ein
Gentleman, der einer Dame vorgestellt wurde, durfte ihr nicht die Hand zur
Begrüßung reichen, sondern mußte sich vor ihr verbeugen. Der Ire hatte sich
nicht verbeugt, er hatte sie ohne ihre Erlaubnis am Fußknöchel berührt und
spöttische Bemerkungen gemacht. Er war kein Gentleman, und er war ihr auch
nicht vorgestellt worden. Emma fand es jetzt fast schon beruhigend, daß sie
seinen Namen nicht kannte. Es verlieh ihr eine gewisse Sicherheit, daß er für sie
nach wie vor ein Namenloser, ein Niemand war.
    Er blieb am
Rande einer kleinen Lichtung stehen, wo eine hohe Kiefer ihre Wurzeln um einen
Felsbrocken geschlungen hatte. Er drehte sich um und legte den Finger an die
Lippen. Dann nahm er die Gewehre von der Schulter und kauerte sich hinter dem
Felsen auf die Erde. Mit einer stummen Geste bedeutete er ihr, seinem Beispiel
zu folgen.
    In dem Organdykleid, das nicht
mehr so duftig war wie am Morgen, aber noch immer wie Papier raschelte, kniete
sie sich neben ihn. »Leise ...«, flüsterte er.
    Vor ihnen lag eine ganz
gewöhnliche Lichtung, auf der sich, soweit sie

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