Penelope Williamson
sehen konnte, niemand befand. Im
hohen Gras blühte scharlachrot Pimpernelle. Rohrkolben raschelten im böigen
Wind. Ein paar hohe Büsche mit breiten Blättern bildeten ein Dach über einem
alten Waldmurmeltierbau.
Er nahm
ihr die Vögel aus der Hand und warf sie nacheinander auf die Lichtung, nicht
weit von der Erdhöhle entfernt. Sie verstand nicht, warum er das tat, aber sie
stellte keine Fragen. Sie fühlte sich an diesem Ort und in diesem Augenblick
jenseits der Zeit so lebendig, daß sie auch nicht über das Warum nachdenken
wollte.
Sie waren
sich sehr nahe, so nahe, daß eine Falte ihres Kleides über seinen Schenkel fiel
und ihr Busen im Schatten seiner Schultern lag. Sie wußte nicht, wie lange sie
hinter dem Felsen am Rand der Lichtung knieten. Jedenfalls lange genug, daß
die Feuchtigkeit in ihren Rock zog und eine Kohlmeise sie schließlich für einen
Teil der Umgebung zu halten schien, denn sie flog über ihren Köpfen unbekümmert
von Ast zu Ast.
Emma hielt überrascht die Luft
an, als er sie plötzlich am Kinn faßte und ihren Kopf etwas drehte, so daß sie
nicht über die Lichtung, sondern zu dem Erdbau blickte.
Dort im
Eingang der Höhle war der Kopf eines Fuchses mit gespitzten Ohren und
witternder Nase aufgetaucht. Der Fuchs war sehr geduldig, und es verging eine
Ewigkeit, bevor er den Bau verließ. Er verharrte sofort wieder, stellte die
Ohren erneut auf und hob die Schnauze in die Luft.
Dann trabte er leichtfüßig zu der Stelle, wo die toten Schnepfen im Gras lagen.
Er umkreiste sie schnuppernd, legte den Kopf schief, hob witternd noch einmal
die Schnauze und umrundete die Beute ein weiteres Mal. Der Fuchs bellte, und
vier Welpen mit dünnen Beinen und riesigen Ohren drängten sich aus dem Bau. Sie
stürzten sich winselnd und jaulend auf die Vögel und zerrten mit den scharfen
kleinen Zähnen an Federn und Fleisch. Einer der Welpen preßte den wolligen
dicken Bauch an das Gras und setzte zum Sprung an. Emma lächelte.
Sie drehte den Kopf und stellte
fest, daß er sie ansah. Erstaunlicherweise machte ihr das überhaupt nichts
aus.
»Danke«,
flüsterte sie, »... dafür.« Sie hob die Hand und deutete auf die Wiese, die
Füchse und die fremde unberührte Welt, die er ihr zeigte, obwohl er doch nicht
wissen konnte ... Woher wußte er? »Aber warum haben Sie mich hierhergebracht?«
Erst nach einer Weile wandte er
den Blick von ihr ab. »Das weiß ich nicht genau. Haben Sie noch nie etwas
getan, ohne einen Grund dafür zu haben?«
»Nein, nie!
Wenn etwas nicht über mindestens vier Generationen hinweg zu einer Tradition
geworden ist, dann tut man es nicht.« Er überraschte sie durch sein belustigtes
Lächeln. Kaum jemand fand ihre kleinen Pointen lustig, und deshalb glaubte Emma
bereits, ihr Sinn für Humor sei abartig. Aber das Merkwürdigste schien zu sein,
daß sie das Gefühl hatte, lange Zeit mit ihm reden und mit ihm zusammen lachen
zu können. Doch kaum war ihr dieser Gedanke gekommen, fiel ihr kein einziges
Wort mehr ein, um ein Gespräch zu beginnen.
Er griff
nach den Gewehren und stand auf. Er ging den Weg zurück, den sie gekommen
waren, und drehte sich nicht mehr nach ihr um. Sie konnte ihm folgen oder auch
nicht.
Auf der
anderen Seite des Baches blieb er an einer Stelle stehen, wo ein umgestürzter
Baum lag und eine Lücke in der Mauer füllte. Er setzte sich auf den Stamm und
bewegte den Hebel des einen Gewehrs. Eine leere Patronenhülse fiel heraus. Er
winkelte den Lauf ab und blickte in die Ladeöffnung.
Emma wußte nicht, was er von ihr erwartete. Sollte sie
weitergehen, da sie ihm wohl nicht mehr von Nutzen sein konnte, oder sollte sie
bleiben?
Oder wollte
sie vielleicht selbst bleiben?
Zum ersten Mal in ihrem Leben
gab es keine Regel, die ihr vorschrieb, wie sie sich verhalten mußte.
Die aus der
Mauer gebrochenen Steine bildeten eine Art Sitz. Sie nahm darauf Platz und
faltete die Hände im Schoß, als befinde sie sich in einem eleganten Salon. Doch
in ihrem Innern entstand eine gespannte atemlose Stille wie vor dem Ausbruch
eines Sturms. Es war wie der Augenblick, bevor sich die Wolken öffnen und die
ersten Regentropfen fallen.
Er schloß
die Ladeöffnung, legte den Finger an den Abzug und drückte ab. Der Hammer fiel
mit einem lauten Klicken auf das leere Schloß. Emma war fasziniert von seinen
Händen. Sie betrachtete gebannt ihre Form, Größe und die Art, wie sie sich
bewegten. Sie sah, wie sich die Sehnen bewegten und sich Adern und Knochen wie
ein Relief
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