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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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näher, und Emma
sah, daß das Kind lächelte, obwohl es ebenfalls völlig durchnäßt war.
    Das Kind streckte die kleine,
eiskalte Hand aus und berührte Emmas Wange. Dann hüpfte es von einem Fuß auf
den anderen und summte so laut und drängend wie ein Bienenschwarm.
    Da die
Frau immer wieder röchelnd nach Luft rang, wußte Emma, daß sie noch lebte. Ihr
ganzer Körper, das heißt, was man davon sah, war bleich und kalt. Die Frau war
bis auf den grotesk vorgewölbten Bauch bedauernswert mager.
    Emma hatte
sie mit heißen Handtüchern abgerieben und ihr dann eines ihrer weichen, mit
Spitze besetzten Wollnachthemden angezogen. Erst nachdem sie die Frau versorgt
hatte, vertauschte sie ihr nasses Kleid mit einem einfachen schwarzen Rock und
einer weißen Bluse. Die Frau schlief jetzt in Emmas Bett unter den bestickten
Leintüchern, die nach Lavendel rochen, während Emma unruhig im Zimmer auf und
ab ging.
    Die Lampen
brannten schon über eine Stunde, als die Frau schließlich wieder zu sich kam.
Sie bewegte sich nicht, sondern blickte nur stumm auf den gestärkten weißen
Betthimmel. Emma beobachtete sie von der Seite. Sie fühlte sich befangen und
war verlegen.
    Die
leuchtendroten Haare der Frau raschelten auf den seidenen Kissen, als sie sich
staunend umsah, die Gaslampen mit den TiffanyGlaskugeln betrachtete, den
Marmorkamin, in dem die Kohlenglut wohlige Wärme verbreitete. Sie blickte auf
die mit gelber Seide bespannten Wände und auf die chinesischen Vasen mit den
Gewächshausrosen, die ihren süßen Duft verströmten.
    »Du meine
Güte ...«, seufzte sie schließlich leise. Emma war es peinlich, so als habe man
sie dabei ertappt, wie sie sich überheblich benahm.
    Sie
räusperte sich und versuchte zu lächeln, als sie sich dem Bett näherte.
    »Sie sind in The Birches: Sie
sind während der Prozession zusammengebrochen.« Emma suchte nach Worten. »Ich
habe Sie gesehen, weil ...« Aber sie vermochte weder sich noch der Frau zu
erklären, was sie bewogen hatte, sich der Kranken anzunehmen.
    »So ...«,
sagte sie schließlich und trat etwas linkisch zu dem Hepplewhite-Tisch, auf
dem das silberne Teeservice stand. »Ich habe den Tee warm gehalten, damit Sie
ihn gleich trinken können, wenn Sie ...«
    Die Frau
blickte sie mit den dunklen Augen, in denen sich nichts regte, an. »Sie haben
mich in Ihr Haus gebracht?«
    »Ich wußte
nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Mein Onkel Stanton Albertson ist Arzt.
Nachdem Sie auf der Straße zusammengebrochen sind und Ihre kleine Tochter meinen
Wagen herbeigerufen hatte, bin ich mit Ihnen geradewegs zu meinem Onkel
gefahren. Aber er war außer Haus zu einem anderen Krankenbesuch. Seine
Haushälterin hat sich fürchterlich aufgeregt, weil doch Sonntag ist, als sollte
man sich zum Krankwerden passenderweise einen Werktag aussuchen ...«
    Sie rieb sich die Hände, und
dann fiel ihr wieder der Tee ein. Trotzdem blieb sie mitten auf dem
Aubusson-Teppich stehen.
    Die Frau versuchte vergeblich,
sich aufzurichten. »Bitte, Sie dürfen sich nicht ...« Aber sofort begann sie
wieder zu husten. »Ich brauche keinen Arzt. Ich habe nur eine
Frühjahrserkältung.«
    Emma blickte zu dem Nachttisch, auf dem ein zerknülltes,
blutbeflecktes Taschentuch lag, neben dem eine braune Medinzinflasche mit dem
Etikett: >Dr. King's Wundermittel gegen Tuberkulose< stand. Der Frau
entging Emmas Blick nicht, und sie sank wieder in die Kissen zurück. Ihr Atem
klang heiser und rauh.
    »Dhia, bitte ... ich bitte Sie, sagen Sie keinem Arzt etwas von
meinem Zustand. Man wird mich sonst nach Irland zurückschicken ... man wird
mich von meiner Familie trennen ... und ich muß mutterseelenallein sterben ...
oder sie zwingen mich, aus der schwarzen Flasche zu trinken, und dann bin ich
gleich tot.« Sie schloß die Augen. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich
möchte nicht allein sterben ... ich möchte nicht sterben ...«
    Ihre Stimme versagte. Der Regen
trommelte gegen die Fensterscheiben. Der Wind war inzwischen zu einem Sturm
geworden.
    Emma hatte gerüchteweise von der >schwarzen
Flasche< gehört. Angeblich verabreichten Ärzte in hoffnungslosen Fällen von
Tuberkulose den Kranken einen Gnadentrunk, um sie von ihrem Leiden zu erlösen.
Die einzige Schwester ihres Vaters war an Tuberkulose gestorben. Aber Charlotte
Tremayne war nicht durch den Gnadentrunk gestorben, sondern in einem
Privatsanatorium in der Nähe von Providence. Sie hatten die Tante nur einmal
dort besucht. Emma erinnerte sich noch

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