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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
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auf
einen Stock, hielt sich aber noch immer gerade. Vielleicht lag es an ihrer
würdevollen, wenn auch zierlichen Gestalt und dem blaßblauen Mantel, den sie
trug, daß sie Emma an die Gipsstatue der Jungfrau Maria erinnerte. Anstelle der
Blumen im Haar trug sie jedoch einen Hut mit einer langen schwarzen Feder.
    Emma suchte
bei gesellschaftlichen Anlässen stets die Nähe der alten Dame. Das lag in
erster Linie daran, daß Geoffreys Großmutter sie nie kritisch musterte oder
argwöhnisch begutachtete. Eunice Alcott hatte kein Interesse an Menschen, die
noch keine sechzig waren. »Guten Morgen, Mrs. Alcott.« Emma lächelte
schüchtern, als sie zu ihr trat. »Sie sehen gut aus.«
    Die alte
Frau holte tief Luft und schnaubte. »Natürlich sehe ich gut aus! Das kann man von Gladys Longworth allerdings nicht
behaupten.«
    Geoffreys
Großmutter hatte eine Nase, deren Spitze nach oben zeigte. Damit wies sie auf
eine beleibte alte Frau, die sich schwer auf ihre Krücken stützte und mühsam
die Stufen von St. Michael hinunterstieg.
    »Man
braucht sie nur anzusehen! Klapperdürr ist sie inzwischen. Nur noch ein
Schatten ihrer selbst. Hören Sie auf mich, mein Kind, sie wird noch vor Ende
des Sommers kalt und entseelt in ihrem Sarg liegen.«
    »Das wollen
wir nicht hoffen, Mrs. Alcott.«
    »Sie vielleicht nicht, mein
liebes Kind. Aber ich habe gelernt, mich in das Unvermeidliche zu fügen.«
    Sie
richtete den Blick wieder auf die Totgesagte und schüttelte erbost den Kopf
beim Anblick eines kräftigen grauhaarigen Mannes, der gerade der alten Frau auf
der Treppe den Arm bot.
    »Es ist
eine Schande, aber es ist die Wahrheit. Ihr Sohn bringt die arme Gladys ins
Grab. Er hat es nur auf ihr Geld abgesehen, und sie ist so dumm, sich das
gefallen zu lassen.« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Gladys war schon immer
ein dummes Huhn. Sie hatte niemals auch nur soviel Mut, in ein Nachtgeschirr zu
spucken.«
    Die
Prozession passierte gerade die Kirche. Der Weihrauch stieg wirbelnd in die
Luft, und der Wind trug ihnen den exotischen Duft zu. Die Jungfrau Maria schien
auf einer Wolke von Lilien und tanzenden Kerzenflammen über den Köpfen der
Menschen zu schweben. Ein Dudelsack spielte eine klagende und wehmütige Melodie.
    Geoffrey
kam mit seinem Bankier auf sie zu. Emma hörte den Bankier sagen: »Die Iren sind
der Abschaum der Nation. Ich sage immer, es gibt nur eine Lösung, um mit dem
Problem der Armen in diesem Land fertig zu werden. Man sollte jeden Iren
ermutigen, einen Neger umzubringen, und ihn dann dafür hängen.«
    Geoffrey hob die Augenbrauen.
Aber Emma wußte nicht, ob seine Reaktion der Prozession galt oder den Worten
des Bankiers.
    In diesem
Augenblick entdeckte Emma die rothaarige Frau in ihrem alten Mantel inmitten der Leute, die am Straßenrand
standen, um die Prozession zu sehen. Die Frau befand sich direkt vor Pardon
Hardys Drogerie und winkte einem der weißgekleideten Mädchen zu. Sie hatte ein
anderes kleineres Kind an der Hand. Die Kleine hatte ebenso rote Haare wie ihre
Mutter und sprang mit gerötetem Gesicht aufgeregt hin und her. Plötzlich riß
sie sich los und lief zu den älteren Mädchen, die hinter der Statue hergingen.
    Die Frau wollte ihr folgen,
aber sie mußte stehenbleiben und sich an einem Laternenpfahl festhalten, weil
sie von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde.
    »Bitte entschuldigen Sie mich,
Mrs. Alcott«, sagte Emma und lief bereits los. »Ich sehe eine ... Freundin.«
    Sie hörte,
wie Geoffrey ihren Namen rief. Beinahe wäre sie weitergegangen, aber sie
fürchtete, er werde ihr nachlaufen, und ging wieder zurück. Sie zwang sich zu
einem Lächeln, obwohl ihr Herz wie rasend schlug. Sie wußte nicht, was
plötzlich über sie gekommen war. Sie schien sich wieder einmal in einen anderen
Menschen verwandelt zu haben.
    »Ich möchte
heute nachmittag eine kranke Freundin besuchen«, sagte sie zu ihrem Verlobten.
»Mach dir um mich keine Gedanken. Mein Kutscher wartet und bringt mich nach
Hause.«
    Geoffreys
Lippen wurden schmal. »Aber ich hatte gehofft, du würdest mit Großmutter und
mir zu Mittag essen. Ich gebe zu, ich habe dich nicht in aller Form eingeladen,
aber ich dachte ...« Er hob die Hand, ließ sie aber wieder sinken.
    Sie lächelte ihn an. »Das ist
sehr nett von dir, Geoffrey. Aber ... meine Freundin war in der letzten Woche
soviel allein.«
    »Es ist doch nicht etwa Judith
Patterson?« Er zog die Stirn in Falten. »Wie ich höre, hat sie die Masern ...,
aber

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