Penelope Williamson
an die Fenster ohne Vorhänge und an
kahle weiße Wände und ein einfaches Eisenbett. »Die zartesten Blüten«, hatte
ihre Mutter gemurmelt und eine dicke runde Träne mit dem Taschentuch
getrocknet, »werden vom ersten Frost dahingerafft.«
Aber Emma
fand, die Tante sah keineswegs nach einer Blüte aus. Sie war bleich und
eingefallen und schrecklich einsam. Nur die Reichen konnten es sich leisten, in
der Einsamkeit eines Sanatoriums zu sterben. Die Armen blieben zu Hause und
steckten ihre Angehörigen an. Ein Blitz zuckte über den Himmel, und Emma
wartete auf den Donner, der aber erst viel später als ein fernes, dumpfes
Grollen zu hören war.
»Ich ...
ich werde den Arzt nicht rufen«, sagte sie schließlich. »Ich werde auch
niemandem etwas sagen ... das verspreche ich Ihnen.«
Die Brust der Frau hob und senkte sich in einem stummen
Seufzen. »Ich weiß nicht ...« Emmas Stimme versagte, und sie räusperte sich.
»Ich weiß nicht, wo meine Manieren geblieben sind. Ich habe mich nicht einmal
vorgestellt. Ich bin Emma Tremayne.«
Die Frau schlug die Augen auf
und blickte Emma so eindringlich und forschend an, daß sie rot wurde.
»Ich weiß«,
flüsterte sie, aber dann verzog sie die Lippen zu einem Lächeln. »Ich freue
mich trotzdem, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Tremayne. Ich heiße Bria,
Bria McKenna.« Das Lächeln zeigte sich auch in den Augen. »Ich bin Mrs. McKenna
... bei Gott, das kann ich wirklich sagen, denn ich habe beinahe zwei
halbwüchsige Kinder, und das dritte ist unterwegs.«
Sie wollte
lachen, mußte aber statt dessen husten. Sie preßte die Hand vor den Mund, und
ihr ganzer Körper bebte.
Endlich
gelang es Emma, sich wieder zu bewegen. »Ich werde Ihnen eine Tasse Tee
einschenken. Es ist roter Klee. Ich habe der Köchin gesagt, sie soll Honig und
Leinöl dazugeben. Angeblich hilft das bei Tuber ... bei Erkältungskrankheiten.«
Emma
füllte die mit Rosen bemalte Porzellantasse. Als sie sich umdrehte, sah sie,
daß die Augen der Frau noch dunkler und größer geworden waren. Ihr Blick
wanderte von der Tasse aus hauchdünnem Porzellan zu dem zarten weißen Baldachin
aus Musselin über ihrem Kopf und dann wieder zurück zu Emmas Gesicht. Ihre
Hände auf der seidenen Bettdecke zitterten.
Emma
konnte ihre Gedanken erraten, denn mit solchen Dingen beschäftigte sie sich
selbst oft. Es war, als sei man plötzlich durch den Spiegel in eine andere Welt
getreten, in der nichts so war, wie es sein sollte. Selbst der eigene
Herzschlag bereitete einem dann Unbehagen.
Emma fühlte
sich lächeln, obwohl eine seltsame Leere in ihr entstanden war, eine Art
Sehnen, ohne zu wissen, wonach. Vielleicht wollte sie der Frau nur sagen: Ich verstehe, und hoffte,
daß sie dasselbe zu ihr sagen würde.
»Ich kann Ihnen die Untertasse
und die Tasse halten«, sagte sie statt dessen, »wenn Sie das möchten.«
Die Frau
schluckte und nickte, dann schloß sie die Augen.
Emma setzte sich auf das Bett.
Ihr schwarzer Taftrock raschelte, und die weiche Daunendecke gab lautlos nach.
Die Frau – Bria McKenna – rieb sich den dicken Bauch. Emma wußte wenig über
Babys und Schwangerschaft, aber sie hatte den Eindruck, daß die Geburt des
Kindes nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Welch
unerträgliches Leid mußte das für die Frau bedeuten: Sie würde ein Kind zur
Welt bringen, die sie selbst bald verlassen mußte. Sie würde all die
wundervollen Jahren nicht erleben, in denen das Kind heranwuchs. Und das Kind
würde nie eine Mutter haben ... Die einzige schlimmere Qual wäre es vielleicht
erleben zu müssen, wie das Kind heranwuchs, bis es alt genug war, um von einer
monströsen Spinnmaschine zermalmt zu werden, und man es in den Armen hielt,
während man zusah, wie es verblutete.
Emma saß ein Kloß in der Kehle, und ihre Augen brannten.
Trotzdem schämte sie sich ihrer Gefühle. Sie hatte kein Recht, Mitleid zu
empfinden.
Sie wollte
Brias Hand berühren, zögerte, tat es schließlich aber doch. Ihre Finger
schlossen sich um die schmale, zerbrechliche Hand der Frau.
»Es tut mir
so leid um Ihren Jungen«, flüsterte Emma.
Die Frau schlug die Augen auf.
Das Gesicht war so weiß, daß die Haut beinahe durchsichtig wirkte. Sie drückte
Emmas Hand. »Woher wissen Sie davon?«
»Sie haben ihn zu uns gebracht,
als er tot war. Padraic ... sagten Sie, war sein Name. Wir sollten seinen Namen
erfahren.«
Die Frau holte so tief Luft,
als wollte sie die Lunge mit all dem Atem füllen, der ihr
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