Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
Leo in erster Linie den Gruppengedanken nahebringen, und zwar nicht nur, weil er selbst ein Mittelfeldstratege gewesen war, sondern weil das seiner Auffassung nach für die Art von Fußball, die er von seiner Mannschaft sehen wollte, notwendig war. Guardiola hatte Leos Tatendrang erkannt, ihn aber, das war das entscheidende Missverständnis, als Selbstsucht gedeutet. »Ich wollte Pep vermitteln, dass das Ehrgeiz war, keine Selbstsucht. Leo hat so hohe Ansprüche an sich selbst, er will jedes Spiel mitmachen, jeden Titel gewinnen, und dieser Ehrgeiz geht so weit, dass er ihn auf andere überträgt und der Wille zum Tsunami wird«, erklärt das einstige Wasserball-Ass Manel Estiarte, der durch seinen Freund Pep als Verbindungsmann zwischen ihm und den Spielern zu Bar Ç a gekommen war. Leo forderte immer den Ball, wollte der Hauptdarsteller sein, der einen Spielzug auch abschließt. »Das ist wie ein Dämon, der in dir steckt, von dem du selbst nichts weißt, und du kannst ihn nicht kontrollieren. Das hat ihn zum besten Fußballer aller Zeiten gemacht. All das versuchte ich Pep zu erklären.«
Guardiola war dagegen der Ansicht, es sei Sache des Trainers, täglich für jeden einzelnen Spieler in seiner Mannschaft die wirklich bedeutenden Entscheidungen zu treffen. Das erzeugt ein falsches Gefühl der Macht, denn letztlich erkennt man, dass es die Spieler sind, die auf den Platz gehen und diese Anweisungen umsetzen. Die Gedanken des Trainers und Messis Talent und Ehrgeiz mussten sich irgendwo in der Mitte treffen.
In seinem tiefsten Inneren hatte Pep die Lektion nie vergessen, die er an jenem Tag gelernt hatte, als ihm das Autogramm von Michel Platini entgangen war. Jetzt erinnerte er sich, dass ihm das in diesem Fall nützlich sein könnte.
Der Fußballheld aus Guardiolas Kindheit – es wurde bereits erwähnt – hatte in der Kabine bleiben dürfen, während sich der Rest der Mannschaft aufwärmte. Der Vorgang bestätigte die Erkenntnis, dass die größte Lüge im Fußball die Behauptung ist, alle Spieler würden gleich behandelt. Später dann, im Teenageralter, lernte Pep von Julio Velasco, dem erfolgreichen Volleyballtrainer, dass der beste Spieler der Mannschaft für den Trainer der größte Aktivposten und zugleich die größte Belastung sein kann: »Du musst wissen, wie du ihn für dich gewinnen und dazu bringen kannst, sein Bestes zu geben, denn in unserem Job stehen wir über den Spielern, aber zugleich auch unter ihnen, weil wir von ihnen abhängig sind«, sagte er Pep.
Guardiola verstand, was er zu tun hatte, trotz seiner Absicht, allen Spielern die gleiche Sympathie entgegenzubringen – er würde sie eben nicht ganz gleich behandeln.
Johan Cruyff hatte in Bezug auf Guardiola nur einen Zweifel gehegt: »Würde er, als Katalane, in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen?« Der Holländer betrachtet Katalonien als Nation, der es oft an Initiative fehlt. Initiative würde nach Cruyffs Ansicht zur Schlüsseltugend werden, denn nach seiner Erfahrung hatte jede Mannschaft der Welt ihren eigenen Messi (das heißt: einen Starspieler, wenn auch offensichtlich nicht auf dessen Niveau); aber nicht alle Trainer wussten das Beste aus ihm herauszuholen.
Guardiola fand bereits am ersten Tag seiner Tätigkeit, bei der Pressekonferenz zu seinem Amtsantritt, die geeignete Antwort auf Cruyffs Bedenken, als er ankündigte, Messi werde sich aus Ronaldinhos Schatten lösen. Aber in diesem Satz steckte noch mehr: Letztlich wurde damit klargestellt, dass Messi nicht erst durch seine Spielweise, sondern ganz automatisch zum Dreh- und Angelpunkt des Bar Ç a-Spiels werden sollte, weil Pep jeden, der ihn in den Schatten stellen konnte, aus der Mannschaft werfen würde. Eto’o musste er zwar eine Spielzeit länger behalten, als er ursprünglich beabsichtigt hatte, aber Ronaldinho und Deco wurden rasch aus dem Klub entfernt und standen Messi nicht mehr im Weg. Henry, einer der verbliebenen Stars, musste auf dem Flügel spielen, obwohl der Franzose eigentlich in der Sturmmitte agieren wollte. Es gab nur einen Ball, und der gehörte Messi.
Guardiola wusste, dass keiner seiner anderen Spieler auch nur den Versuch unternehmen konnte, mit seinem Star zu konkurrieren. Niemals zuvor hatte er einen solchen Spieler gesehen. Schon sehr früh in seiner Amtszeit erkannte Guardiola, dass der FC Barcelona durchaus über eine ganze Reihe talentierter Einzelspieler verfügte, die im Zusammenspiel ein herausragendes Team bilden würden – aber
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