Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
hinaus auf den Rasen führte, in einen Hexenkessel aus Lärm und ungezügelter Feindseligkeit, klang ihnen in diesem ganzen Krach noch Peps Schlusswort in den Ohren: »Wir sind hierhergekommen, um zu gewinnen! Und im Bernabéu-Stadion kann man nur auf eine Art gewinnen: Seid tapfer!«
In der Vorrunde, im ersten Clásico der Saison 2008/09, hatte Guardiolas FC Barcelona Real Madrid mit 2:0 besiegt. Aber der Sieg war nicht so leicht gefallen, wie das Ergebnis nahelegt: Drenthe hatte die Chance zum Führungstor gehabt, bevor Eto’o und Messi den Erfolg der Gastgeber sicherstellten. Dieses Spiel war immer noch als ganz besonderes Ereignis im Gedächtnis geblieben, nicht nur, weil es Peps erster Clásico als Trainer war, sondern auch wegen seiner Reaktion auf den Sieg. Peps Gesichtsausdruck sagte alles – er war für kurze Zeit wieder zum Spieler geworden und genoss die Begeisterung in einem schwärmerischen Camp Nou. Er konnte nicht verbergen, dass ihm im Überschwang der Gefühle die Tränen in die Augen gestiegen waren, und im Gedächtnis blieb auch die innige Umarmung zwischen Víctor Valdés und seinem Trainer, das Sinnbild für die Verbindung, die zwischen dieser außerordentlichen Gruppe von Spielern und ihrem Trainer geschmiedet wurde.
Das war zwar ein ganz besonderer Augenblick gewesen, dennoch war es nur ein Aufwärmen für die Vorstellung im Bernabéu-Stadion im darauffolgenden Mai, für einen Abend, der alle Erwartungen übertreffen sollte.
Die drückende frühsommerliche Hitze in Madrid war an jenem Samstagnachmittag, an dem die Mannschaften im Stadion eintrafen, besonders unerträglich. Peps Vorbereitungen wurden erschwert durch den verletzungsbedingten Ausfall von Rafa Márquez und die nur drei Tage später anstehende Reise nach London zum Rückspiel gegen den FC Chelsea im Halbfinale der Champions League nach einem frustrierenden 0:0-Unentschieden im Camp Nou. Ein Sieg im Bernabéu-Stadion war zwar wichtig, aber nicht unbedingt notwendig, deshalb gab es Spekulationen, dass Pep mit Blick auf das Rückspiel in London vielleicht einige Spieler schonen würde.
Ausgeschlossen.
Die ganze Woche über hatte Pep eine Sache deutlich gemacht: Sie würden an diesem Abend die Meisterschaft holen, und zwar in der Höhle des Löwen. Um das zu erreichen, bot Guardiola seine beste verfügbare Elf auf: Valdés, Abidal, Alves, Piqué, Puyol, Xavi, Touré, Eto’o, Henry, Messi und Iniesta.
Pep hatte Real in allen Einzelheiten analysiert, und eineinhalb Stunden vor Spielbeginn rief er Messi, Xavi und Iniesta zusammen: »Ihr drei habt gegen Diarra und Gago das Spiel in der Hand. Wenn ihr das richtig macht, drei gegen zwei, schlagen wir sie.« Diarra und Gago würden sich für die Defensive einen dritten Mann suchen, Messi würde sich als hängende Sturmspitze zwischen den Innenverteidigern und diesen beiden bewegen.
Barcelona bestimmte das Spiel von Anfang an. Xavi kam nach 20 Minuten frei zum Schuss, Eto’o nur wenige Minuten später. Aber Madrid schoss das erste Tor. Higuaín hatte plötzlich Platz, war ungedeckt – und nutzte die Gelegenheit. Guardiola ließ sich nicht beirren, und Barcelona blieb bei seinem taktischen Konzept. Der Trainer hatte den Glauben der Mannschaft an das, was sie tat, gefestigt, und sie musste einfach nur daran festhalten. Cruyff hatte es zu Saisonbeginn zu Pep gesagt, dieser hatte es vor seinen Schülern wiederholt: Seid geduldig.
Die Culés mussten nicht lange warten. Fast im Gegenzug nach Higuaíns Führungstor glich Henry aus. Wenig später zog Xavi bei einem Freistoß das Kaninchen aus dem Zylinder. Vor dessen Ausführung machte der Mittelfeldmann seltsame Handzeichen in Richtung Puyol und wiederholte diese Gesten eindringlich, fast wie besessen. Im nächsten Augenblick hörte er damit auf. Er wandte den Kopf, schien etwas zu sehen, das seinen Entschluss endgültig gefestigt hatte, wandte sich wieder dem zu, was jetzt anstand, und machte erneut diese seltsamen Handzeichen. Dann ging Puyol zunächst kurz vom Rasen, nur um gleich zurückzukommen und die Real-Verteidigung bei einer Unachtsamkeit zu erwischen. Es stand 1:2.
Beim anschließenden Torjubel erfuhr der Rest der Bar Ç a-Mannschaft, dass Xavi, Puyol und Piqué diesen Spielzug zu dritt eingeübt und bis zu diesem Tag geheim gehalten hatten. Ein Jahr später sollten sie in Südafrika genau den gleichen einstudierten Schachzug wiederholen, beim Siegtor für Spanien gegen Deutschland, dem einzigen Tor im WM
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