Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
mit Drogen? Ich erwarte nicht, daß Sie mir die Wahrheit sagen. Ich möchte Sie nur warnen.«
Der Finger des Inspektors war anklagend auf ihn gerichtet.
»Der holländische Staat hat genug Geld, um seine eigenen Sicherheitsorgane zu finanzieren. Wir brauchen keine ausländische Einmischung. Schon gar nicht von jemandem, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal offizieller Polizeibeamter ist! Sie sind aus dem Spiel, Señor Carvalho!«
»Ich nehme an, daß ich nicht der erste Tourist bin, der überfallen wird und in einer Gracht landet.«
»Nein. Aber Sie sind ein ganz besonderer Tourist. Zum Beispiel erstatten normale Touristen nach dem Überfall Anzeige, und ich nehme nicht an, daß Sie das vorhaben.«
»Nein. Ich will nur ganz kurz in Holland bleiben und mir nicht mit polizeilichen Nachforschungen das Leben schwermachen. Außerdem ist mir nichts geraubt worden. Ich hatte nur amerikanische Kreditkarten bei mir, die
Carte Blanche
, die Karte von
Diner’s
und ein paar Gulden.«
»Sie haben noch 40 Gulden, etwas feucht, aber noch zu gebrauchen. Oder anders herum, man hat Ihnen nicht einmal die 40 Gulden geraubt, die Sie in der Tasche hatten.«
»Es war wohl zuwenig.«
»Es sind schon Leute für weniger als 20 Gulden ertränkt worden. Wir hatten solche Fälle!«
»Unerhört!« Carvalho wollte den Sarkasmus nicht auf die Spitze treiben. Er wollte sich auch nicht wie eine Romanfigur von Chandler benehmen, die einem dummen und brutalen Polizisten aus Los Angeles gegenübersteht. Unter anderem deshalb, weil der Inspektor eben kein dummer und brutaler Cop aus Los Angeles war und er selbst kein Held von Raymond Chandler. Der Inspektor erhob sich. »Das war die zweite und letzte Warnung. Sollten Sie sich noch einmal in Schwierigkeiten bringen, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen. Natürlich läßt Inspektor Kayser Sie vielmals grüßen und wünscht Ihnen eine baldige Genesung.«
»Sagen Sie ihm, daß ich ihm vor meiner Abreise noch einen Besuch abstatten will.«
»Wann wird das sein?«
»Wahrscheinlich morgen oder übermorgen.«
Der Inspektor verließ das Zimmer. Carvalho erkundigte sich bei der Rezeption, ob er von einem Arzt untersucht worden sei. Dies sei der Fall, und er habe nichts Ernstes. Man riet ihm, einen Tag im Bett zu verbringen und sich zu melden, wenn sich außergewöhnliche Beschwerden einstellen sollten, zum Beispiel Übelkeit. Er müßte dann sofort in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Er lehnte sich in seinen Kissenberg zurück und trank eine halbe Flasche Wasser, die auf dem Nachtschränkchen stand. Dann sprang er aus dem Bett, um auszuprobieren, wie ihm die vertikale Lage bekam. Er ging in die Hocke und richtete sich langsam auf. Alles in Ordnung. Bestimmte Stellen seines Körpers schmerzten, und das brennende Auge war ihm lästig, alles übrige jedoch unversehrt. Zufrieden ging er wieder zu Bett, rief die Rezeption an und bat, seinen Anzug abzuholen und in die Reinigung zu geben. Der Portier kam selbst herauf, um ihn zu holen, erkundigte sich nach seinem Befinden und versicherte, der Anzug werde in wenigen Stunden fertig sein. Carvalho bestellte einen Orangensaft. Er wurde ihm mit amerikanischer Schnelligkeit gebracht. Nachdem er ihn getrunken hatte, legte er sich in die Kissen zurück. Er wollte nicht einschlafen, aber die Müdigkeit überwältigte ihn. Er schloß die Augen und glaubte, um seinen Körper herum den Druck des schmierigen Wassers der Gracht zu spüren. Ein paar graue Ratten schwammen mit gelenkigen Pfoten und borstigen Schnurrhaaren auf ihn zu. Carvalho versuchte, sich im Wasser zu wehren, und schlug wild mit den Händen, um nicht gebissen zu werden. Er durfte keinen Lärm machen, weil die Verfolger immer noch am Rande der Gracht standen und auf ein Lebenszeichen von ihm lauerten.
Ein Pochen an der Tür weckte ihn. Er fand zurück in Raum und Zeit. Hatte fast zwei Stunden geschlafen, seit dem Orangensaft. Er rief: »Herein!« Der Türknauf quietschte, und im Türrahmen erschien die Gestalt des Mijnheer Singel.
Das war die erste Überraschung. Die zweite war das korrekte Englisch, mit dem ihn Singel begrüßte, sich für sein Eindringen entschuldigte und nach seinem Befinden fragte. Singel betrachtete ihn immer noch mit seinem interessierten, engelhaften Lächeln wie jemand, der einen bezaubernden Antipoden entdeckt hat. Entweder litt er an
rictus perenne
, oder er besaß das außerordentliche Geschick eines Public-Relations-Experten.
»Señor Carvalho, ich
Weitere Kostenlose Bücher