Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Rätsels sein. Ein Mann ist bereit, einhunderttausend Pesetas zu bezahlen für die simple Feststellung der Identität eines Ertrunkenen, die er auch bei der Polizei hätte erfragen können. Aber Señor Ramón hatte kein Interesse, die Polizei auf sich aufmerksam zu machen, und er kannte auch sonst niemanden, der ohne Risiko zu dieser Quelle gehen konnte.
Carvalho hatte es zu seinem persönlichen Anliegen gemacht herauszubekommen, auf welcher Route der Körper von Julio Chesma von der Rokin zum Strand von Vilasar gelangt war. Und er war sehr daran interessiert festzustellen, welche Rolle Señor Ramón bei der ganzen Sache spielte. Als Carvalho auf dem Weg zum Leidseplein war, wußte er noch nicht, wo er zu Abend essen sollte, im
Bali
oder irgendwo in dem Viertel, in dem er letzte Nacht gewesen war, als er das Hippiemädchen verfolgte. Auf dem Leidseplein ging er zu der Kneipe, in der Singel das Mädchen getroffen hatte. Es war zu dieser Zeit des Nachmittags fast genauso voll wie am Vortag, sowohl unten im Lokal als auch auf einem etwas erhöhten Podest. Auf diesem befand sich nur ein runder Tisch mit vier oder fünf Zechern, die von dort das ganze Lokal überblickten. Carvalho suchte sich einen Tisch an der Wand, von dem er den Verkehr auf dem Platz beobachten und zugleich den ruhigen Eifer der Zecher als Schaupiel betrachten konnte. Ein Hippie-Ehepaar mit seinen Kindern waren seine unmittelbaren Nachbarn sowie ein harmloser Bürokrat, der so in seine Zeitung vertieft war, daß sein Bier schon die Schaumkrone verloren hatte. Hier würde er jetzt höchstens ein Sandwich zu essen bekommen, und Carvalho kannte die Kompromißlosigkeit seines Magens. Die Atmosphäre des Lokals lud nur zu einem Stammtisch oder zu ruhiger Beschaulichkeit ein. Er war aber allein und wollte sich amüsieren.
Deshalb ging er über die Straße zu dem Kino und kaufte sich eine Eintrittskarte. Der Vorfilm lief schon, ein holländischer Kurzfilm mit dem Titel
Der Friseursalon
. Carvalho verstand nur einzelne holländische Worte, schloß jedoch aus dem, was er sah, daß es um die Jungfräulichkeit eines Mädchens ging, die eine Friseurlehre macht und zusammen mit ihren Arbeitskolleginnen und deren
boyfriends
ein
weekend
im Landhaus ihres Chefs verbringt. Sie kommen in Stimmung und landen im Bett. Die widerspenstige Jungfrau wehrt alle Angriffe auf ihr Heiligtum ab, beschließt jedoch am Ende, mit ihrem partnerlosen Chef ins Bett zu gehen. Der alleinstehende, impotente, aber sehr menschliche, sehr väterliche Chef sagt, sie solle nichts von ihm erwarten, was er ihr nicht geben könne. Das Mädchen ist beruhigt, aber tags darauf – sieh an! – erwacht sie mit der Hysterie eines brünstigen Orang-Utan-Weibchens. Sie hat eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter und bekommt eine Nervenkrise, verlässt das Haus, geht zu einer Telefonzelle und telefoniert tränenüberströmt mit ihrem Chef. Für Carvalho war das kein Happy-End. Auf jeden Fall zeugte der Film von einer Plattheit, die die Unterentwicklung des holländischen Kinos bewies.
In der Pause ging Carvalho hinaus ins Vestibül. Mehrere junge, wie Hippies gekleidete Paare hatten ihre Sprößlinge ins Kino mitgebracht, teils weil sie nicht wußten, wo sie sie sonst lassen sollten, und teils weil
Fritz the Cat
ein Zeichentrickfilm war. Aber sobald Carvalho die ersten Szenen des Films gesehen hatte, wurde ihm klar, daß die Anwesenheit der Kinder eher dem verstohlenen Wunsch nach Sexualerziehung zuzuschreiben war. Der Kater Fritz war ein echter Freak, eine Außenseiterpersönlichkeit, der unter den haschischrauchenden Intellektuellen der New Yorker Szene sexuelle und in Harlem soziale Revolutionen anzettelte. Der Film verbreitete eine Stimmung, die noch schlechter war als Carvalhos eigene. Niedergeschlagen verließ er das Kino und hatte gleichzeitig Lust auf einen Flirt. Er ging in die Straße, wo er letzte Nacht dem Hippiemädchen gefolgt war, entschied sich für ein griechisches Restaurant und bestellte Lammbraten mit Salbei und eine Flasche Paros. Er rundete das Mahl mit einem vorzüglichen Toulomisso-Käse ab. Er aß ohne Konzentration und machte sich Sorgen um seine seelische Verfassung. Fremde Städte täuschen immer das Versprechen neuartiger Genüsse vor. Aber sobald man in ihre eigentliche Geographie vordringt, entdeckt man die abweisende Verschlossenheit der Körper, die sich wiederholende Banalität der Situationen und der Personen. Wenn er eine Frau haben wollte, mußte er wohl oder übel
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