Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
möchte Ihnen die Mühe ersparen, Fragen zu stellen, und will versuchen, eine korrekte Bilanz der Situation zu ziehen. Es dürfte klar sein, daß Sie erraten haben, welche Beziehung zwischen dem Besuch besteht, den Sie gestern bei uns machten, und der ernsten Verwarnung, die Sie gestern nacht hinnehmen mußten. Es war nichts anderes als das, eine Warnung. Sie wissen sehr wohl, daß es möglich gewesen wäre, Sie auf dem Grund der Gracht zu versenken.«
Der Ernst des Inhalts änderte nichts an der Verbindlichkeit der Form. Er fuhr in unverändertem Tonfall fort: »Vor ein paar Stunden war ein Polizist bei Ihnen zu Besuch. Ich möchte wissen, worüber gesprochen wurde.«
Carvalho hatte den Eindruck, sein Gesprächspartner habe kaum gewechselt. Singel stellte seine Fragen mit derselben Wohlerzogenheit wie der Inspektor und vielleicht in der Hoffnung, dasselbe zu erfahren.
»Dem Polizisten habe ich nur gesagt, was meinen Interessen dient. Ihnen werde ich ebenfalls nur sagen, was meinen Interessen dient.«
»Wir haben uns gedacht, daß Ihre Interessen wohl nicht mit den unseren kollidieren. Wir haben gestern vielleicht etwas überstürzt reagiert, und Sie suchen Ihren spanischen Freund aus Gründen, die unsere Interessen gar nicht tangieren.«
»Dessen bin ich völlig sicher.«
»Also, erzählen Sie!«
»Sagen wir, ich suche Julio Chesma aus beruflichen Gründen. Jemand hat mich damit beauftragt. Ich bin Privatdetektiv, und es gibt schwerwiegende Gründe für die Annahme, daß es sich bei Julio Chesma und der Leiche, die an einem spanischen Strand gefunden wurde, um ein und dieselbe Person handelt. Ein Klient möchte, daß ich dies bestätige. Die Tätowierung, die der Tote trug, war eine Spur, die mich nach Amsterdam führte. Hier erfuhr ich den Namen des Ertrunkenen und seine Adresse. Jetzt müsste ich noch herausfinden, was von dem Tag an, als er in Ihre Pension einzog, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er ertrunken aufgefunden wurde, geschah. Es interessiert mich nicht zu wissen, in welche Geschäfte er verwickelt war, sondern was für ein Leben er in der fraglichen Zeit führte. Alles Weitere interessiert weder mich noch meinen Klienten.«
»Was für eine Beziehung vermuten Sie zum Beispiel zwischen Ihrem ertrunkenen Freund und mir?«
»Ich könnte mir vieles vorstellen. Drogen, Mädchenhandel oder Exportgeschäfte mit Tulpen oder Delfter Porzellan. Sie könnten auch Mitglied der Freimaurer oder des Opus Dei sein.«
»Des Opus Dei?«
»Ich weiß schon, was ich sage.«
»Es stimmt, daß Ihr Freund ein paar Geschäfte mit uns gemacht hat. Und selbstverständlich sind wir nicht interessiert, daß Sie Genaueres darüber erfahren. Wahrscheinlich ist es am klügsten, wenn wir zusammenarbeiten. Wir ebnen Ihnen den Weg, um die Suche nach Ihrem Freund fortzusetzen, aber das wird ein Weg sein, der unsere Geschäfte nicht tangiert.«
»Worum geht es?«
»Frauen. Er war sehr begabt in diesen Dingen und hat es fast immer verstanden, Geschäft und Bett auseinanderzuhalten.«
»Ein vernünftiger Zug, wie mir scheint.«
»Sie haben keine andere Wahl. Sie könnten wohl zur Polizei gehen und ihnen von diesem Gespräch erzählen. Damit würden Sie aber nur meine Festnahme erreichen, eine Festnahme, bei der nichts herauskommen würde, denn die holländische Polizei hat bereits festgestellt, wo ich war, und ich habe alle erdenklichen Alibis. Andererseits können Sie, wenn Sie dies tun, vielleicht erreichen, daß Sie in Holland nicht doch noch ertränkt werden. Aber Wasser gibt es überall, und es gibt auch trockene Todesarten.«
»Ich verstehe.«
»Großartig. Dann will ich Ihnen alles sagen, was ich weiß. Ihr Freund lebte bis vor einem Jahr im Patrice Hotel. Ab und zu war er unterwegs, aus geschäftlichen Gründen. Seit einem Jahr hatte er seinen festen Wohnsitz in Spanien, ebenfalls aus geschäftlichen Gründen. Vor drei Tagen erfuhren wir von seinem Tod aus einer Quelle, die ich nicht nennen will. Wir wußten noch nicht genau, wie es geschehen war. Nach dem, was Sie erzählen, scheint es ein beklagenswerter Unfall gewesen zu sein. Genügt Ihnen das?«
»Nein. Sie haben zu viele Monate seines Lebens in wenigen Worten zusammengefaßt. Ich will mehr wissen.«
»Ich könnte Ihnen einige Adressen nennen, hier und in Amsterdam. Aber ich möchte nicht, daß Sie in der Stadt umherschwirren, immer mit der Polizei auf den Fersen. In Rotterdam werden Sie die Informationen bekommen, die Sie suchen. Können Sie
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