Per Anhalter (German Edition)
Stimme war schauerlich.
Er ließ sich auf die Knie fallen und robbte neben das offenbar schlafende Mädchen.
Britta hob die Decke an und deckte ihn mit ein. Plötzlich fing sie an, ein Lied zu summen, das sich wie ein Schlaflied anhörte.
Irgendwann hatte er diese Melodie schon einmal gehört.
Aus einer Spieluhr vielleicht? Oder bildete er sich vielleicht nur ein, das Lied zu kennen?
Eine Gänsehaut kroch über seinen Rücken. Er musste sich dazu zwingen , nicht den Verstand zu verlieren.
Dieser Singsang und das Antlitz dieser Irren über sich erzeugte das Gefühl tiefer Bedrängnis in ihm.
Sie strich über seine Wange. Erst rechts, dann links.
Wie in einem schlechten Film.
„Du wirst jetzt schlafen, hörst du? Schließ die Augen. Mach sie einfach zu.“
Was hat sie vor?
Sie war aufgestanden und kam wieder zurück.
Er beobachtete es, indem er die Augen einen winzigen spaltbreit offen ließ, genau so, wie er es vorher schon einmal getan hatte, als seine Hände noch nicht verbunden waren… Als er noch die Möglichkeit hatte zu fliehen… Als er noch Auswege hatte.
Seine einzige Hoffnung war die, dass die Polizei hier war, dass die Polizei ein Auge auf diese Leute hatte.
Speichel sammelte sich in seinem Mund zu einem trägen großen Klumpen.
Britta kam zurück und begann erneut das gespenstische Schlaflied zu summen.
Sie setzte sich neben die Matratze und strich erneut über seine Wange und anschließend durchs Haar.
Ihre Hand stank nach Zigarettenrauch.
„Sei schön ruhig, ja? Tu mir den Gefallen. Bald wird alles gut“ flüsterte sie.
Er sah die Spritze in ihrer rechten Hand…
… Und riss die Augen auf!
„Was… tust du?“, „
Hab keine Angst. Das ist nur was zum Schlafen.“ Zischend entwich die Luft aus seiner Lunge.
Im Hintergrund schrie das Baby, der Wind peitschte und klatschte die Regentropfen gegen die Wände.
Seine Sinne waren geschärfte Messerklingen.
„Ich hasse spritzen“ sagte er, bemüht um Ruhe.
„Es gibt nur einen kleinen Piek. Ich bin Krankenschwester musst du wissen. Ich hab so etwas schon hunderte Male gemacht. Sie sagen alle, ich bin die Spritzenkoryphäe. Ich konnte das schon in der Ausbildung gut. Ich hab da ein Händchen für.“
Sie lächelte. Ihr Gesicht sah jetzt alt und verhärmt aus. Ihre Stirn wies eine Vielzahl runzliger Falten auf, dazu dieser geistlose Blick, das rauchige Singen, das wie eine Hintergrundmusik aus ihrer Kehle mitschwang.
David wand sich. Er hatte wirklich eine große Antipathie gegen Spritzen, und von der da wollte er schon mal gar keine haben.
„Ich versprech´ dir… Ich versprech´, dass ich auch ohne Spritze schlafen werden. Bitte. Ich hasse Spritzen wirklich. Das hat auch nichts mit dir zu tun, echt nicht.“,
„Es wird dir nicht wehtun, David. Schau mal, hm. Sonja hat ihre Spritze auch schon bekommen.“
Sie begann erneut zu summen (jetzt erkannte er die Melodie! Es war kein Schlaflied sondern „Heile Heile Gänschen“), richtete die Spritkanüle aufrecht hin und drückte daran, so dass einzelne Tropfen der durchsichtigen Substanz heraus spritzten.
Draußen donnerte es erneut so heftig, dass das Licht flackerte.
Das hier musste ein Film sein. Ein billiger, trashiger Horrorfilm.
Wie oft hatte er das schon gedacht, in den letzten paar Stunden…
„Ich bin allergisch“ grölte er, „Ich kann Spritzen echt nicht ab. Ich erzähl keinen Scheiß, echt nicht! Ich schwör´s dir. Ich kann es einfach nicht ab…“,
„Dr. Martin und Dr. Odenthal sagen Sie sind unsere Spritzenkoryphäe, Schwester . Glaubst du, dass Dr. Martin und Dr. Odenthal lügen ?“
David fing an zu wimmern.
Es war nicht wegen der Spritze allein, sondern auch wegen der Substanz darin.
Was würde sie ihm da verabreichen?
Was bedeute etwas zum Schlafen , wenn es aus dem Mund dieser summenden Irren kam, die nur eine eigene kleine Familie wollte. Was wenn sie mich umbringt? Wenn Sonja schon tot ist? Und sie sich dann auch umbringt… Dann hat sie ihre kleine Familie. In ihrem Himmel!
„Jetzt halt schon still. Sei doch kein Frosch.“,
„Ich will es nicht…“,
„David!“,
„… es nicht! Bitte! Ich will es nicht. Alles, aber bitte keine Spritze.“,
„Okay, dann muss Mario es machen. Ich kann es nicht unter Zwang.“,
„NEIN!“
Stille.
Nur das Rauschen des Regens.
Brittas Augen weiteten sich.
Sie kam mit dem Gesicht dicht an ihn heran. So dicht, dass sich ihre Nasenspitzen berührten. „Hast du mich
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