Per Anhalter (German Edition)
und zum Feierabend hin. Diese Uhrzeit (es war kurz nach zehn am Morgen) war eher atypisch, zumal der Benzinpreis nicht besonders weit unten war. Draußen standen bereits die ersten altbekannten Trinker. Der Opa mit den gelblichen Haaren und den beiden losen Vorderzähnen, die beim Sprechen halb aus dem Mund heraus hingen, sowie sein Kompagnon, ein wesentlich jüngerer aber ebenso schäbig aussehender Typ, der selbst bei 30 Grad seine uralte James Dean-Lederjacke trug und sich für wahnsinnig schneidig hielt, obwohl das Zeug in seinem Haar ganz sicher keine Pomade und der Duft den er ausströmte kaum Eau de Toilette war. Auch die döschige Trulla war wieder dabei. Sie hatte keine Ahnung, wo sie die Dame immer auftrieben. Sie kam in unregelmäßigen Abständen mit. Sie hatte ebenfalls ein Gebiss, das an eine Baustelle erinnerte und die außerordentlich unangenehme Eigenschaft, erbärmlich nach Urin zu stinken. Außerdem flippte sie manchmal völlig aus und pöbelte draußen rum. Oder sie fing an zu heulen und ging weg. Oder sie fing an zu heulen und kaufte sich Schnaps. Wahlweise heulte sie auch und wurde draußen getröstet, woraufhin sie dann (komisch, komisch) mit einem der Herren auf die Toilette verschwand. Okay, das war hier nicht gerade eine glanzvolle Klientel von Stammkunden, aber sie gehörten dazu, und irgendwie war Mareike froh, dass sie da waren. Sie zeigten ihr, dass im Grunde genommen ja doch alles wie immer war. Stephan war indes noch nicht da und darüber war sie im Auenblick sogar froh, weil sie sich viel zu angespannt fühlte, um jetzt auf seine Flirtspielchen einzugehen oder gar von ihm gefragt zu werden, ob ihr Sohn denn inzwischen zurückgekommen sei… Dann erzählt er mir womöglich noch mal die Geschichte, die er mir neulich erzählt hat. Bei der Vorstellung stellten sich bei ihr die Nackenhaare auf!
Ein junger Mann kam an den Tresen. Er hatte eine 0,5 Liter Flasche Coca-Cola dabei und schaute auf die Schokoriegel vor der Kasse. Sie grüßte ihn. Er sah auf und nickte nur. Er wirkte verschlafen.
Wann kommst du endlich, Ronny? Sie wurde langsam unruhig. Sie bemerkte gar nicht, dass der junge Mann, der einen Werkstatt Overall anhatte und ziemlich muffig rüber kam, seine Cola und einen Kit Kat-Riegel auf den Tresen gelegt hatte, bis dieser „Hallo?“ sagte.
„Hi! Einmal die Cola und den Kit Kat?“ Er antwortete nicht mal. Getreu dem Motto: Siehst du doch, blöde Kuh, oder? Sie nannte den Betrag und er sagte nüchtern, „Und die 3 nä. Getankt.“,
„Ach so, Entschuldigung, sowas Blödes. Dann macht das 65,19, bitte!“ Sie kicherte leise, aber der junge Mann fand das offenbar genau so lustig wie einen Witz von Fips Asmussen.
Er zeigte seine Visa-Karte und blickte auf das Kartenlesegerät anstatt in ihr Gesicht. Obwohl der Bursche bestimmt 15, 20 Jahre jünger war als sie, wirkte seine abgebrühte, beinahe überhebliche Coolness ein stückweit autoritär auf sie. In jedem Fall fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl. Er war nicht einmal arrogant, sondern vielmehr unnahbar. Gleichgültig konnte man es auch nennen. Sie war froh als er endlich seine Karte aus dem Gerät zog und sich mit einem distanzierten Kopfnicken verabschiedete. Sie steckte den Beleg auf den Spieß neben die Kasse und stöhnte kaum merklich vor Erleichterung. Dabei bemerkte sie gar nicht, dass Ronny nur zwei Schritte von ihr entfernt stand. Er hatte die Arme verschränkt und holte tief Luft.
„Aaalso: Chef sagt, du sollst nach Hause gehen!“ Mareike antwortete zunächst nicht und auch Ronny fügte nichts hinzu. Erst nach einigen Sekunden brachte sie ein „Wa?“ raus. Ronny zuckte mit den Schultern. Er guckte ein wenig betreten weil er sich offenbar schon mit dem Gedanken angefreundet hatte, den Vormittag irgendwo anders als hier im Shop der Tankstelle zu verbringen.
„Er meint, du sollst ihn so gegen 17 Uhr anrufen. Da wollte er noch mal hier sein. Aber nicht einfach arbeiten.“,
„Na toll, echt!“ Ronny zuckte erneut nur mit den Schultern.
„Weißt du, da will man arbeiten und dann ist das auch wieder nicht richtig. Diesem alten Stinksack kann man es doch gar nicht recht machen.“,
„Na ja, ist halt so nä!“,
„Weißt du, sonst jault er immer rum, er kriegt hier keine Leute und da kein Personal, und wenn sich jemand anpreist dann will er es auch nicht. Gut. Dann tut es mir Leid. Ich müsste nicht arbeiten, ich hab nur gedacht, ich entlaste euch damit. Aber gut. Alles klar. Dann eben
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