Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
Vom Netzwerk:
Ronny sie auf einmal in den Arm. Einfach so. Bedingungslos. Es tat gut. Im Augenblick war diese Geste des jungen Mannes das einzig Richtige und sie war Ronny unglaublich dankbar für diesen intensiven Moment.
     
    ***
     
    David war nichts mehr weiter als ein bleicher Schatten seiner selbst. Er blutete auf beiden Handflächen, er würgte von tief unten ständig eine Substanz hoch, die wie zäher Speichel aussah, und er kratzte immer wieder Beine, die gar nicht mehr vorhanden waren.
    Und doch schleppte er sich unermüdlich vorwärts. Unermüdlich , obwohl er schon müde genug war, einfach die Augen zu schließen. Für alle Zeit! Es war heiß. Brennend heiß! Und jetzt gab es in der näheren Umgebung nicht einmal mehr Bäume.
    Es gab Gras, das höher war als er selbst, der er hindurch kroch. Es gab Schilf und Rohrkolben. Und es gab Insekten. Insekten, die sich immer und immer wieder auf ihn drauf setzten.
    Er weinte. Und zwar immer so lange, bis ihm selbst dazu die Kraft fehlte und er wie eine völlig ausgetrocknete Pflanze den Kopf hängen ließ und zu Boden fiel. Er konnte seinen eigenen Atem riechen. Er roch nach Magensäure und Entzündung. Kurz gesagt: Erbärmlich! Und als ob das alles nicht schon schlimm genug war, wurde das Schilf ringsumher immer dichter und die Zahl der Insekten nahm beträchtlich zu. Pfeilschnell und voll morbider Grazie flitzten Grasspinnen vor ihm her, während abartig aggressive Fliegen ihre Saugrüssel auf seiner Haut ausstreckten, um sich an seinem Schweiß zu laben.
    Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, sie fort zu jagen.
     
    „Ich kann nicht mehr!“ Alle paar Sekunden. „Ich kann nicht mehr!“ Mal antwortete ihm irgendeine nebulöse Stimme in seinem Kopf, mal verstärkte sich nur der Juckreiz in den Beinen, oder das erbarmungslose Dröhnen und Hämmern knapp unterhalb seiner Schädeldecke, oder das Kribbeln in seinen geborstenen, zerschundenen Händen.
    Doch das Schlimmste war eine Befürchtung, die sich durch das vermehrte Schilfvorkommen immer weiter in sein Gehirn einbrannte: Ich habe das Gefühl, als ob bald Wasser kommt. Darum das Schilf. Schilf gibt es doch, soweit ich mich erinnere, in erster Linie an Seen, Sumpftümpeln und Teichen. Irgendwo in Feuchtgebieten halt... Eigentlich kann ich genauso gut umdrehen. War doch irgendwie klar, dass ich zielsicher in die falsche Richtung watschel. Es war sowas von klar !
    Und tatsächlich verdrängte das hohe Schilf schon bald das Gras. Der Untergrund war matschig und voll mit kleinen Pfützen. Wenn es nicht so verdammt traurig wäre, hätte er vielleicht lachen müssen. Ja, vielleicht hätte er jetzt einen richtigen Lachflash bekommen, einfach weil es so typisch war.
    Die Sonne knallte mit einer solchen Wucht von oben auf ihn herab, dass er das Gefühl hatte, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Es gab nicht einmal ein merkliches laues Lüftchen das hier wehte. Nur knallende Hitze, die sich erbarmungslos und mit heimtückischer Freude ausschließlich auf ihn projizierte. Und wider Vernunft schleppte er sich trotzdem weiter voran. Um sich zu kühlen, klatschte er sich von Zeit zu Zeit eine Ladung Wasser aus einer der kleinen Pfützen ins Gesicht. Es fühlte sich erfrischend an und war eine echte kleine Wohltat. Dann schließlich – Gewissheit!
    Die Schilfhalme, die sich ein paar Meter weiter auftaten, standen im Wasser. „War ja klar!“ sagte er nur. Und nun fing er tatsächlich an zu lachen. Seine Nasenspitze steckte im Schlamm. Er schüttelte den Kopf. „Das war ja klar!“ Dann kickste er leise und breitete seine linke, mit Schlamm überzogene Hand vor sich aus. Sie war außerdem verschmiert mit Blut. Er öffnete und schloss sie, öffnete und schloss sie… wieder und wieder… Und dann die andere Hand. Die rechte war schlimmer betroffen als die Linke. An ihr war das Blut noch nicht angetrocknet, sondern suppte fröhlich und munter aus verschiedenen Kratern.
    David fing stotternd an zu glucksen. Ein Teil von ihm wollte weinen, ein anderer behinderte dies mit der Begründung, dass das auch zu nichts führte. Er bäumte sich so gut es ging auf und versuchte, über das hohe Schilf zu schauen. Es gelang ihm kurz. Er sah Wasser. Überall Wasser. Dann plumpste er zurück in den Matsch.
    Seine mit Packpapier ummantelten Beinreste flogen hoch und er landete auf dem Rücken. Dann setzte er sich hin.
    Beide Hände betasteten die Stümpfe. Das Packpapier knisterte. Irgendwo in der Ferne zwitscherte ein Vogel. Ein anderer antwortete

Weitere Kostenlose Bücher