Per Anhalter (German Edition)
nicht.“,
„Ja, ne, aber was soll ich ihm denn sagen wenn er nein sagt? Doch, Mareike arbeitet trotzdem oder was? Dann sind wir nachher beide ´n Kopp kürzer. Warum gehst du nicht spazieren oder einkaufen? Das lenkt doch auch ab. Außerdem, wenn du jetzt echt Doppelschicht machst und das in dem Zustand, dann kannst du dich vielleicht nachher gar nicht mehr konzentrieren. Und wenn du nicht mehr kannst auf einmal, dann wird Steffi bestimmt nicht kommen, weil sie sich dann auch was vornimmt, weißt du? Dafür gibt’s dann auch wieder Stunk mit dem Alten. Also lass den Scheiß, Mareike. Wenn du krank bist, bist du krank.“
Sie hätte heulen können vor lauter Wut! Es war so dermaßen unverständlich was da gemacht wurde. Ja, ehrlich gesagt fühlte sie sich, wie das berühmte fünfte Rad am Wagen. Als ob sie gar nicht mehr gebraucht wurde. Ohnehin ihre größte Sorge.
„Und was will er mit mir heute Abend gackeln? Dass ich jetzt entlassen bin? Weil mein Sohn abhaut? Weil das ja meine Schuld ist, oder was?“,
„Das hat doch überhaupt keiner gesagt! “,
„Aber so kommt mir das vor, Ronny.“ Sie fing an zu weinen.
„Du kannst ja auch nix dafür, das weiß ich ja. Aber warum ist er immer und immer ungerecht zu mir? Was hab ich ihm getan? Kannst du mir das sagen? Hab ich diesem Mensch jemals irgendetwas getan ? Außer dass ich mich wie eine prostituierte anpreise und sage, ich arbeite freiwillig Doppelschicht? Oder außer dass ich es gewagt habe mich krank zu melden? Ist es das?“;
„Ma-rei-ke! Es ist gar nix ! Bist du irgendwie paranoid oder so? Er meint es glaub ich eher gut, weil du ja…“,
„ER MEINT ES GUT? DIESER MANN, RONNY, DIESER MANN IST EIN TEUFEL, JA? IHN INTERESSIERT ES EINEN FEUCHTEN DRECK WAS MIT UNS PASSIERT! EINEN FEUCHTEN DRECK! “,
„Jaa, Mann, jetzt komm aber mal runter.“,
„ICH KOMM SCHON RUNTER, DA HAB MAN KEINE ANGST ! Aber VIELEN DANK auch an alle.“
Gerade, als sie auf dem Absatz kehrt machte, packte Ronny sie an den Schultern und schüttelte sie einmal kräftig durch. „Komm. Mal. Klar! Du bist hier nicht im Theater , Mareike“ zischte er. Seine Augen wanderten durch den Shop. Drüben bei den Zeitschriften stand ein älterer Herr und blätterte in einem Magazin, und direkt daneben standen zwei junge Burschen vor der Freikühlung mit den Getränken. Vorher hätte Mareike all diese Leute gar nicht bemerkt. Ein leichter Schauer des Unbehagens floss durch sie hindurch. Sie weinte trotzdem weiter, aber wenigstens blaffte sie nicht ihren (an der Situation tatsächlich vollkommen unschuldigen) Arbeitskollegen an. Sie hörte, wie die beiden jungen Männer kicherten. Wahrscheinlich über sie. Und der ältere Herr dachte sich wahrscheinlich auch gerade seinen Teil. Am liebsten wäre sie auf den Tresen gesprungen und hätte gebrüllt:
Das findet ihr alle wahnsinnig komisch, oder? Gut, meinetwegen. Aber gestattet mir trotzdem Euch eines zu sagen: Mein Sohn ist von Zuhause weggelaufen und kein Mensch auf der großen weiten Welt hat auch nur die beschissenste, leiseste Ahnung, wo dieses Kind sich rumtreibt. Es könnte sein, dass er ermordet wurde. Oder vergewaltigt. Oder sogar beides. Na, wie findet ihr das? GROSSARTIG, was? Und ich stelle mich trotzdem hierhin und will arbeiten, nachdem mein Chef die Sache mit meinem Sohn abgetan hat, als ob ich einfach nur keinen BOCK hätte zu arbeiten oder unter SCHEISSKOPFSCHMERZEN leiden würde. Ich stehe hier, in dieser Tankstelle eines Widerlings, um meine Tochter wenigstens durchbringen zu können, weil dieser elende Schwachkopf nicht einmal zahlt wenn man sich krank meldet. Und ich arbeite, weil mir zu Hause die DECKE AUF DEN KOPF FALLEN fällt. Aber nein , ich darf ja nicht arbeiten. Vielleicht schmeißt er mich raus, Leute. Okay? Euch ist das vielleicht schnurz-piep-egal, aber ich habe zu Hause eine Tochter und ich selbst muss auch noch leben. Und außerdem: WER ZAHLT DENN WOHL DIE BEERDIGUNG WENN SIE MEIN KIND FINDEN? GLAUBT IHR VIELLEICHT MEIN CHEF? HAHAHAHA! ABER LACHT IHR NUR. LACHT NUR!
Ihre Lippen waren am Beben und die Tränen flossen stumm über ihre kochend heißen Wangen. Sie spürte das Blut in sich pulsieren.
„Tut mir Leid“ lamentierte Ronny und legte zögernd die Hand auf ihr linkes Schulterblatt.
„Ich wollt dich hier nicht auch noch blöd anmachen.“
Mareike rang sich ein gequältes Lächeln ab und nickte ihm zu, dass es schon in Ordnung sei und dass er ja im Grunde genommen Recht hatte.
Da nahm
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