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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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ihm. Davids Hände fingen beidseitig an zu zittern. Das papierene Rascheln ertönte wieder und das Dröhnen in seinem Schädel schwoll zu einem schrillen, Gänsehaut erregenden Kreischen an. Er musste weg hier! Er musste weiter. Bloß nicht auf die Beine starren und bloß nicht auf dieses schrille Geräusch hören. Doch es war zu spät – er war bereits wieder am Weinen, während er durch die Schilfhalme hindurch kroch. Das schrille Kreischen verwandelte sich in einen einzelnen Ton, der sich wie das Signal bei einem dieser alten Testbilder im Fernsehen anhörte. Er fing wieder an zu husten und irgendetwas hoch zu würgen. Es war einfacher, zäher weißer Schleim. Sein Magen gab nichts her, was er hätte auskotzen können. Dieses Mal robbte er sogar dann noch weiter, als er sich übergab, so dass er seine Arme und sein Krankenhausnachthemd auf Brusthöhe voll seiberte.
    Es spielte alles keine Rolle mehr.
    Er robbte einfach weiter, und weiter, und weiter. Die Vögel zwitscherten, die Insekten flogen und irgendwo zirpten nun auch Grillen. Weit entfernt, wenn er nach rechts schaute, sah er die alte Holzhütte, aus der er gekommen war. Sie war das einzige Gebäude weit und breit. Noch immer schien niemand dort zu sein.
    Wer weiß , dachte er, vielleicht haben sie auch gar nicht mehr vor, wiederzukommen . Unwahrscheinlich, aber möglich war bei diesen Irren alles.
     
    Er robbte immer weiter und weiter, und wie schon zuvor, ebbten die Tränen ab und er war mit einer neuen Energie aufgeladen, über die er eigentlich gar nicht mehr verfügen konnte. Es muss so etwas wie Panik gewesen sein. Es heißt ja auch, Mütter, deren Kinder in akuter Gefahr schweben, verfügen ohne logische Begründung plötzlich über Bärenkräfte und sind unter Umständen sogar dazu in der Lage, Gesteinsbrocken, dessen Gewicht das Vielfache ihres eigenen Körpergewichtes übersteigt, aus dem Weg zu räumen. Ob es der Wahrheit entsprach oder nicht, wusste David nicht, aber es klang glaubhaft. Vielleicht war es sowas auch bei ihm. Jedenfalls ließ sich der Schmerz und jedes andere Gefühl ausschalten wie eine Zimmerlampe. Schon bald nahm das Schilfvorkommen ab und der Boden bestand mehr und mehr aus Gras. Links von ihm bot sich ihm nun der Blick auf das Gewässer. Es war ein riesiger See. Auf der anderen Seite gab es eine Insel. Zwischen einer Vielzahl von Bäumen erkannte er mehrere Fenster von Häusern. Offenbar eine bewohnte Insel , dachte er. Auch ein Auto fuhr gegenüber zwischen einer Reihe von hohen Bäumen vorbei. Hier hingegen war gar nichts los. Und da fuhr schon wieder etwas. Dieses Mal sogar ein Lastwagen. Ein Lastwagen auf einer Insel. Und Häuser. Ihn überkam der Drang nach all dem zu rufen! Sehnsüchtig starrte er in die Ferne. Es war das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass er wieder Zivilisation sah! Normale Menschen. Stinknormale Typen die arbeiteten oder spazieren gingen oder in Häusern wohnten, und nicht in einem Wohnwagen oder einer alten Schrotthütte im Wald. Dann schaute er weiter. Nach rechts. Nach links. Und wieder fuhr ein Auto vorbei. Er konnte es von hier aus nicht einmal hören, so weit war all die Homogenität dort drüben entfernt. Aber das war im Moment gar nicht so dramatisch.
    Wie weit sich doch die Insel in dem See erstreckte... Und wie viel dort los war... Ihm wurde mit einem Mal so heiß, als stünde er in Flammen.
    „Das kann nicht sein“, murmelte er dann, weil ihm ein grauenhafter Gedanke gekommen war. „Das kann gar nicht sein!“ Vielleicht ist das da drüben gar keine Insel... Vielleicht bin ich auf einer Insel...
    Nein, David, komm , es war die Stimme seiner Mutter,  jetzt fang aber mal nicht an rum zu spinnen. Merkst du die Einschläge noch? Eine Insel, David. Sie bringen dich vielleicht in irgendeinen Wald JWD, aber sie haben wohl kaum eine eigene Insel, auf die sich die bringen. Aber da war er sich auf einmal gar nicht mehr so sicher. Er fand die Vorstellung gar nicht so unrealistisch. Das Haus war weder hermetisch abgeriegelt noch waren sonst irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen daran getroffen worden. Sie hatten ihm die Beine amputiert, und das war alles. Somit war sowohl die Gefahr des Weglaufens, als auch die des Wegschwimmens gebannt.
    „Das hier ist ne Insel!“ blubberte er. „Das hier ist ne Insel. Das hier ist ne Insel.“
    Er robbte weiter. Geradeaus befand sich wieder eine riesige Menge Schilf. Dorthin wollte er jedoch nicht. Er wollte zurück zum Haus, und von dort aus in eine andere

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