Per Anhalter (German Edition)
Einsatzleiter ließ die Frau erstmal anhalten, aussteigen und sich eine Zigarette anstecken. Dann ging sie auf den dubiosen Kerl mit dem Mercedes zu, der sich seinerseits ebenfalls eine Zigarette angezündet hatte und ihr mit plumpen Schritten entgegen stolperte. Es sah aus, als zöge er beim Gehen ständig das linke Bein hinter sich her. Dann gab es den Befehl für Wagen 1, das war der Bora, den Rückwärtsgang einzulegen und sich vor den Geländewagen zu stellen. Wagen 2, der BMW, erhielt den Auftrag, sich so vor den Mercedes zu stellen, dass auch dieser nicht aus der Parklücke kam. Erst als dies geschah, guckten der Mann und die Frau. Im gleichen Moment kam der lange ersehnte Funkspruch an Wagen 1 und Wagen 2: „Zugriff!“ Und mit der Gewissheit, dass gerade 12 Maschinengewehre zur Absicherung bereitstanden, stiegen die Zivilbeamten aus ihren Fahrzeugen. Drei von ihnen zückten die Dienstwaffe, der Vierte ging mit breiten Schultern an die Front. Die beiden guckten, als hätten sie sowas in der Art schon erwartet. Der Mann wirkte etwas verdutzter als die Frau. „Polizei, nehmen Sie die Hände hoch!“ Es war die Stimme von Robert Plaschke, einem erfahrenen Polizisten, der seit rund zwanzig Jahren bei der Polizei war. Es dauerte zwei Sekunden und einen Blickwechsel zwischen den beiden, da hoben sie die Arme.
„Legen sie die Hände da vorne auf dem Kofferraumdeckel ab und spreizen sie die Beine.“ Friedrichsen tastete mit ab, Thaysen sicherte von hinten mit der Waffe.
„Hinstellen und die Hände auf den Rücken“ befahl Plaschke dann und wieder gehorchten beide.
Lasse öffnete die Tür und stolperte aus dem Wagen. Er war bisher nicht einmal bemerkt worden, denn gerade, als sie auf den Parkplatz einbogen, befand er sich (natürlich unangeschnallt) auf der Rückbank und kramte in den verbliebenen Habseligkeiten nach etwas Essbarem. Er hatte irrsinnigen Kohldampf! Er hatte eine Tüte Kartoffelchips entdeckt und war gerade dabei sie genussvoll zu knuspern, als er im Rückspiegel bemerkte, dass eine Horde von Leuten um Mama und Lolle herum standen. „Mommor!“ rief er und begann zu weinen. Da überhaupt eine ganze Menge Menschen Notiz von dem Tumult auf dem Parkplatz nahmen, fiel der pummelige Teenager zunächst gar nicht auf. Erst als Britta „Geh weg, Lasse!“ schrie, bemerkten auch die Polizisten den Jungen.
Plaschke pfiff ihn zurück. „Nee nee, nix da. Gehört der Junge dazu?“ Ohne eine Antwort abzuwarten winkte er ihn heran. „Dann auch herkommen.“ Lasse haderte, trippelte wie ein tollpatschiger kleiner Bär vor und zurück.
„Mommor was soll ich jetz machen?“, „Herkommen!“ fiel Plaschke ein und ging auf den Jungen zu.
„WAS WERFEN SIE UNS EIGENTLICH VOR?“ brüllte Lolle dann auf einmal.
„WAS SOLL DAS THEATER HIER?“,
„Das kommt gleich. So, und Sie, junger Freund, vortreten, Hände über den Kopf.“ Lasse war sichtlich hin und hergerissen. Sein Gesicht schwamm nur so in Tränen. Die Situation überforderte ihn über alle Maßen. Er grunzte immer wieder „Mommor!“ und seine feisten Gesichtszüge vibrierten wenn er schluchzte. Noch bevor Lasse es sich womöglich doch anders überlegen konnte, wurde er von Plaschke am Arm gepackt und so in die Mangel genommen, dass Thaysen ihm nur noch Handschellen anlegen brauchte. Er stellte sich dabei an wie ein kleines Kind, das im Supermarkt kein Überraschungs-Ei bekommen hatte. Er trat mit den Füßen, ließ sich auf den Boden fallen und schrie wie am Spieß. Die beiden versteckten Polizeiautos rollten aus dem Wald an.
„Zugriff erfolgt. Zwei männliche und eine weibliche Person festgenommen. Ende!“
Es war eine Situation, die ein bisschen an eine Fernsehshow erinnerte, denn kaum rasteten bei Lasse die Handschellen ein, zeigten sich nicht nur die Polizeiautos, sondern auch die ersten, ganz in schwarz gekleideten SEK-Leute trotten aus ihren Verstecken im angrenzenden Wald. Die Zuschauer, die das Spektakel still verfolgten, waren hauptsächlich LKW-Fahrer. Doch auch zwei Familien (die eine kam aus Norwegen, die andere aus Bremen) mit Kindern, auf dem Weg in den Urlaub, sowie ein junges Paar aus Nordrhein-Westfalen, erlebten das nicht alltägliche Geschehen live mit, und mit Ausnahme der Kinder, blickte keiner von ihnen mit unverhohlener Spannung, sondern eher beiläufig interessiert. Sie kauten alle weiter auf ihrem Pausenbrot herum oder tranken Kaffee und Säfte, nur dass sie dabei alle keine Eile mehr zu verspüren
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