Per Anhalter (German Edition)
nie.
Faktisch bestätigten sie ihm alle, sie würden zwar auf ein gepflegtes Äußeres viel wert legen, jedoch sei es in allererster Linie eine Charakterfrage, ob sie sich für einen Mann als Partner entscheiden oder nicht.
Tja, dann kam das mit dem Rollstuhl auf den Tisch – und weg waren sie! So viel da nn dazu.
Das alles setzt ihm inzwischen nicht mehr zu. Er weiß, woran er ist, und er weiß auch, dass er nichts daran ändern kann.
Die Welt ist ein einfältiger, primitiver Haufen Schwachsinniger, und das wird im Internet noch einmal doppelt so deutlich.
Dort lassen sie einen einfach links liegen. Im realen Leben erntet er eher mitleidige Blicke, was noch ein Grund ist, weshalb er so selten raus geht.
***
Heute ist der 26. September 2013, draußen scheint die Sonne.
David blinzelt und schließt seine Augen wieder.
Neben der Matratze, seinem Schlafgemach, steht ein uralter, staubüberzogener Radiowecker.
Es ist jetzt 10:46 Uhr. Alles wie immer. Außer dass er heute tierische Kopfschmerzen hat.
Um 10:52 Uhr wirft er die Decke zur Seite. Der Rollstuhl steht neben seinem „Bett“.
Es sieht bei ihm immer wie die Vorführung eines Kunststückes aus, wenn er in den Rollstuhl hinein krabbelt. Reichlich unbeholfen um genau zu sein. Dabei könnte er es besser, er hat nur keine Lust dazu. David geht immer den Weg des geringsten Widerstands.
Klack – Zwei Scheiben Toast verschwinden im Toaster. Das Ding macht manchmal auch komische Geräusche. Es hört sich so an, als würde darin eine Leitung schmoren oder so.
Er rollt ins Badezimmer, steigt aus seinem Rollstuhl, setzt sich auf die Klobrille und pinkelt los.
Hier im Badezimmer müsste eigentlich auch mal wieder sauber gemacht werden.
Als er die Wohnung frisch bezogen hatte, machte seine Mutter das noch ab und zu. Mittlerweile auch nicht mehr.
Vielleicht mach ich das heute mal , denkt er und schaut auf den Staubklumpen neben der Toilette. Es handelt sich dabei um Staub, der feucht geworden ist und jetzt so richtig schön klebt. Das kommt vom Duschen, weiß er, denn beim Duschen spritzt manchmal Wasser über den Vorhang oder läuft unter durch.
Er hört aus der Küche, wie die beiden Toastscheiben aus dem Toaster springen.
Es riecht gut, aber Hunger hat er nicht wirklich.
Wie gesagt, er hat Kopfschmerzen.
Morgens ist das immer das Erste. Aufstehen, Toast rein, pinkeln. Die Macht der Gewohnheit. Wenn er heute drüber nachgedacht hätte, hätte er sich gar kein Toast gemacht.
Er bestreicht die beiden Brote dennoch mit Margarine und klatscht auf jedes eine Scheibe Truthahnsalami. Jetzt noch etwas Ketchup oben drauf – voila!
Und ab vor den PC.
Aber erst einmal durchsucht er seine Schreibtischschubladen nach der Packung Thomapyrin und wird circa einer Minute fündig. Er schluckt sie mit einem Schluck Freeway-Cola herunter.
Der PC ist im Standby-Modus. Er beißt von einer der beiden Brotscheiben ab, bewegt die Mouse und der Computer ist gleich startbereit.
Das Toastbrot schmeckt heute gar nicht und wird irgendwie immer mehr als weniger im Mund. Ein ekelhafter, zäher Klumpen. Einfach widerlich!
Er legt es auf den Schreibtisch.
Jener ist voll mit Krümeln von all den Toastbroten, die schon drauf gelegen haben. Auch hier besteht eigentlich dringender Handlungsbedarf.
Er muss sich auch noch bei der AOK melden, die wollten irgendwas von ihm. Das Schreiben liegt auf dem Tisch. Und auch die ARGE hat geschrieben. Den Umschlag hat er noch nicht einmal geöffnet. Nicht jetzt, vielleicht später.
Und jetzt? Was macht er jetzt? Ein dumpfes Hämmern im Kopf malträtiert ihn.
Er klickt auf das Symbol des Firefox-Browsers und öffnet ihn somit.
Was er jetzt genau im Internet vorhat weiß er noch nicht. Sein Kopf ist noch nicht bereit zum Zocken und er hat auch überhaupt keinen Bock darauf.
Er beißt noch einmal vom Toastbrot ab.
Aber das geht gar nicht! Er spuckt den aufgeweichten Brot-Salami-Ketchup-Klumpen in den Papierkorb, der unter seinem Schreibtisch steht, und entscheidet sich spontan für Facebook. Einfach mal kurz schauen.
Er meldet sich an und überfliegt all die unwichtigen Botschaften seiner so genannten Freunde, zu denen er größtenteils seit Jahren schon keinen direkten Kontakt mehr hat.
Björn Nissen, mit dem er früher in eine Klasse ging, schreibt: Sooo, arbeiten^^. Kein Bock!
Lisa Neumann – ebenfalls eine alte Mitschülerin – postet ein Bild von sich und ihrem Freund:
2 Jahre Schatz!!!
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