Per Anhalter (German Edition)
Ich bin sooo glücklich und will dich nie verlieren…
Ihr Schatz hat den Beitrag bereits wie folgt kommentiert: Ein Herz und dahinter steht, ICH WILL DICH AUCH NICHT VERLIEBEN BABE! LIEB DICH ÜBER ALLES!!!
Und natürlich hat auch Nadja bereits gepostet: Guten Morgen Welt <3!
Mehr nicht, aber es hat für 5 Gefällt mir und zwei Kommentare gereicht: Guten Morgeeeen, Naddel und Du auch schon wach???
Facebook ist so affig , denkt er und scrollt immer weiter nach unten. Da ist noch ein Statusbericht von Lisa Neumann. Ihr hat eine Lena geantwortet…
Nein, nicht die Lena, aber…
… er verspürt auf einmal einen wilden Anstieg seiner Pulsfrequenz.
Lena.
Warum muss er jetzt an Lena denken?
Er ist seit 3 Jahren bei Facebook und ist noch nie auf die Idee gekommen nach ihr zu suchen…
Lena … Wie war noch ihr Nachname? Ob sie wohl auch hier ist?
Natürlich ist sie hier. Jeder ist heutzutage auf Facebook.
Er ist hin- und hergerissen und eine innere Unruhe wühlt ihn auf.
Was ist aus dem Mädchen mit dem Katzengesicht geworden?
Warum denkt er auf einmal daran? Warum jetzt?
Will er es wirklich wissen?
Er reibt sich seine Schläfen. Wie war noch mal ihr Nachname?
Wie war nur ihr beschissener Nachname?
Vielleicht hat sie schon geheiratet und hat inzwischen einen ganz anderen Nachnamen.
Lena…
Das Bild von ihr in seiner Erinnerung ist nicht mehr besonders klar. Nur ihre Augen, diese großen Diamanten, die waren noch präsent.
Er bewegt den Cursor der Mouse auf das Suchfeld und gibt Lena ein.
Lena… Lenalenalenalena… Wie war das noch? Irgendwas mit G, oder? Ge… Gerke? Nein.
Unmöglich drauf zu kommen – wie immer wenn einem etwas auf der Zunge liegt, findet man es erst recht nicht.
***
Und es mag sich nach Zauberei anhören, nach irgendeinem übersinnlichen Quatsch, doch Lena, die ebenso nur noch höchst selten an die Ereignisse des Jahres 2003 zurückdenkt, hatte vor einigen Tagen einen ziemlich wirren Traum.
Dieser hat sie seither nicht wirklich groß beschäftigt. Bisher!
Sie ist inzwischen auch Mutter einer zweijährigen Tochter, berufstätig und in festen Händen. Sie ist eine Frau mit einem straffen, gut durchstrukturierten Alltag. Ihr Tag beginnt jeden Morgen um Punkt sechs. Am Wochenende kann es auch mal halb acht werden, aber länger schläft Marie-Joy noch nicht.
Timo ist Tischler und auch von morgens bis abends unterwegs, und sie ist froh über jede gemeinsame Stunde die sie mit ihm hat. Sie selbst arbeitet im Moment noch Teilzeit in einer Anwaltskanzlei. Ab nächstem Sommer soll die Kleine in den Kindergarten gehen und ab da will sie dann auch wieder mehr arbeiten. Sie hat einfach nicht die Zeit, sich mit den Traumbildern einer unruhigen Nacht auseinanderzusetzen.
Es war vor vier Tagen. Marie war wieder sehr unruhig. Zweimal musste sie ihretwegen hoch. Das letzte Mal um kurz vor vier am Morgen, als sie schon längst nicht mehr damit gerechnet hatte, überhaupt wieder einzuschlafen. Tat sie aber doch. Und da war es zu dem Traum gekommen, den sie sich durch nichts anderes erklären konnte, als durch die öffentlich von vielen ihrer Freunde geteilte Vermisstenmeldung via Facebook. Ein Zeitsoldat, 22 Jahre alt, war von jemandem, den er über eine Mitfahrzentrale kennengelernt hatte, mitgenommen worden und galt seither als vermisst. Solche Vermisstenpostings sind keine Seltenheit auf Facebook. Und natürlich ist sie jedes Mal befangen wenn sie davon liest. So etwas lässt einen nicht mehr kalt, wenn man selbst jemanden kennt, dem so etwas widerfahren ist.
David existiert nicht mehr als grauer Fleck in ihren alltäglichen Gedanken.
Er existiert als zeitweiliges Flackern in ihrem Kopf, genau wie ihre Oma, die vor drei Jahren gestorben ist.
Als ein Moment der Schwärze, als ein kurzes Unwohlsein an einem langweiligen Tag oder als triste Wanderdüne beim Ansehen eines schlimmen Films. Und während ihrer Periode - wenn ohnehin alles beschissen ist, dann holte sie die Erinnerung manchmal ein.
Holte , wohlgemerkt, das ist heute auch nicht mehr so.
Der Traum von vor vier Tagen ist eigentlich auch nichts weiter als ein kurzes Flackern gewesen, das längst wieder vorbei ist. Ein winziger Stromausfall bei einem Gewitter. Man stellt danach den digitalen Wecker neu ein und alles läuft weiter wie bisher. Keine große Sache.
In diesem Traum war sie gerade dabei Marie in der Badewanne zu waschen.
Timo war arbeiten. Es klingelte an der Tür.
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