Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
Ausdruck erst einmal gesehen: Ihr Vater, Ares, hatte mich so angeblickt, als ich ihm Mann zu Mann im Kampf gegenübergetreten war.
»DU WILLST DEN TOD?«, schrie Clarisse den Drakon an. »NA,
DANN KOMM HER!«
Sie entriss einer Gefallenen den Speer. Ohne Rüstung oder
Schild ging sie auf den Drakon los.
Ich versuchte, ihr zu Hilfe zu kommen, aber Clarisse war
schneller. Sie sprang zur Seite, als das Monster zuschlug und den Boden vor ihr zu Staub zermahlte. Dann sprang sie auf den Kopf des Ungeheuers. Als der hochschnellte, bohrte sie ihm mit solcher Gewalt ihren elektrischen Speer in das heile Auge, dass der Schaft zersplitterte und die gesamte magische Kraft der Waffe entfesselte.
Lichtbögen zischten über dem Kopf des Ungeheuers und die
elektrische Ladung ließ es am ganzen Leib erbeben. Clarisse sprang herunter und rollte sich auf dem Bürgersteig in Sicherheit,
während Rauch aus dem Schlund des Drakons quoll. Das Fleisch
des Drakons löste sich auf und er zerfiel zu einem hohlen Tunnel aus Schuppen.
Wir anderen starrten Clarisse voller Bewunderung an. Ich hatte noch nie gesehen, wie jemand ganz allein ein dermaßen riesiges Monster angriff. Aber Clarisse achtete nicht auf uns. Sie rannte zu der Verwundeten, die ihr die Rüstung gestohlen hatte.
Endlich konnte Annabeth ihr den Helm abnehmen. Wir
drängten uns um sie herum: die Ares-Leute, Chris, Clarisse, Annabeth und ich. Die Schlacht auf der Fifth Avenue tobte noch immer, aber für einen Moment gab es nur unseren kleinen Kreis und die Gefallene.
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Ihre ehemals schönen Züge waren vom Gift übel verbrannt. Ich
wusste, dass Nektar oder Ambrosia, egal in welchen Mengen, sie nicht retten könnten.
Etwas wird passieren. Rachels Worte hallten in meinen Ohren wider. Eine List, die mit dem Tod endet.
Jetzt wusste ich, was sie meinte, und ich wusste, wer die Ares-Hütte in die Schlacht geführt hatte.
Ich schaute in das Gesicht der sterbenden Silena Beauregard.
Ich sitze auf dem Schleudersitz
»Was hast du dir nur dabei gedacht?« Clarisse wiegte Silenas Kopf auf ihrem Schoß.
Silena versuchte zu schlucken, aber ihre Lippen waren trocken
und rissig. »Wollten nicht … hören. Hütte folgt … nur dir.«
»Und dann hast du meine Rüstung gestohlen«, sagte Clarisse
ungläubig. »Du hast gewartet, bis Chris und ich auf Streife waren, hast meine Rüstung gestohlen und dich als Clarisse ausgegeben.«
Sie starrte ihre Geschwister wütend an. »Und ihr habt das
ALLESAMT nicht bemerkt?«
Die Ares-Camper entwickelten ein plötzliches Interesse an ihren Kampfstiefeln.
»Mach ihnen keine Vorwürfe«, sagte Silena. »Sie wollten … wollten glaubten, dass ich du war.«
»Du blöde Aphroditegöre«, schluchzte Clarisse. » Du hast einen Drakon angegriffen? Warum?«
»Das ist alles meine Schuld«, sagte Silena und eine Träne lief ihr das Gesicht hinab. »Der Drakon, Charlies Tod … das Camp in
Gefahr …«
»Hör auf!«, sagte Clarisse. »Das stimmt ja gar nicht.«
Silena öffnete die Hand. Auf ihrer Handfläche lag ein silbernes Armband mit einem Anhänger in Form einer Sense, dem Zeichen
des Kronos.
Eine kalte Faust schloss sich um mein Herz. »Du warst die
Spionin.«
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Silena versuchte zu nicken. »Ehe … ehe ich mich in Charlie verliebt habe, war Luke immer nett zu mir. Er war so … charmant. Sah gut aus. Später wollte ich ihm nicht mehr helfen, aber er drohte, mich zu verraten. Er versprach … er versprach, dass ich Leben
retten könnte. Es würden nicht so viele verletzt werden. Er hat gesagt, er würde … Charlie nichts tun. Er hat mich belogen.«
Ich begegnete Annabeths Blick. Ihr Gesicht war kreideweiß. Sie sah aus, als sei ihr soeben der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Hinter uns tobte die Schlacht weiter.
Clarisse starrte ihre Hüttengenossen wütend an. »Jetzt helft
endlich den Zentauren. Und verteidigt die Eingänge. LOS!«
Die anderen stürzten sich in die Schlacht.
Silena holte schmerzhaft Atem. »Verzeiht mir.«
»Du stirbst nicht«, beharrte Clarisse.
»Charlie …« Silenas Blick war unendlich weit weg. »Charlie
sehen …«
Das waren ihre allerletzten Worte.
Clarisse schmiegte sich an sie und weinte. Chris legte ihr die Hand auf die Schulter.
Endlich drückte Annabeth Silena die Augen zu.
»Wir müssen weiterkämpfen.« Annabeths Stimme war brüchig.
»Sie hat ihr Leben gegeben, um uns zu helfen. Wir sind ihr das schuldig.«
Clarisse schniefte und wischte sich die Nase ab.
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