Percy Jackson Bd. 5 Die letzte Göttin
hat
Angst …«
»Dass ich Luke nicht gegenübertreten kann«, sagte Annabeth
unglücklich.
Ich nickte. »Aber es gibt noch etwas, das du wissen solltest.
Ethan Nakamura glaubt, dass Luke in seinem Körper noch lebt
und Kronos vielleicht sogar bekämpft.«
Annabeth versuchte, es zu verbergen, aber ich konnte fast sehen, wie sie in Gedanken die Möglichkeiten durchging und vielleicht neue Hoffnung schöpfte.
»Ich wollte dir das eigentlich nicht sagen«, gab ich zu.
Sie schaute am Empire State Building hoch. »Percy, mein ganzes Leben hatte ich das Gefühl, dass sich alles ändert, dauernd. Ich hatte nie jemanden, auf den ich mich verlassen konnte.«
Ich nickte. Das war etwas, womit die meisten Halbgötter sich
identifizieren konnten.
»Ich bin mit sieben weggelaufen«, sagte sie. »Dann glaubte ich, in Luke und Thalia eine Familie gefunden zu haben. Aber die brach fast sofort wieder auseinander. Was ich sagen will, ist … ich finde es schrecklich, wenn ich im Stich gelassen werde, wenn alles immer nur vorübergehend ist. Ich glaube, deshalb möchte ich auch Architektin werden.«
»Um etwas Dauerhaftes zu schaffen«, sagte ich. »Ein Monu-
ment, das tausend Jahre überlebt.«
Sie hielt meinem Blick stand. »Ich schätze mal, das klingt wieder nach meiner tödlichen Schwäche.«
Vor Jahren hatte Annabeth mir im Meer der Ungeheuer erzählt,
dass ihr größter Fehler die Hybris sei – die Einbildung, alles 265/396
schaffen zu können. Ich hatte sogar ein wenig von ihrem tiefsten Verlangen gesehen, das ihr durch den Zauber der Sirenen gezeigt worden war. Annabeth hatte sich ihre Eltern zusammen vorgestellt, wie sie vor einem neu aufgebauten und von Annabeth entwor-fenen Manhattan standen. Luke war auch dort gewesen – auf der
Seite der Guten, um sie zu Hause willkommen zu heißen.
»Ich glaube, ich weiß, wie dir zumute ist«, sagte ich. »Aber
Thalia hat Recht. Luke hat dich schon so oft verraten. Er war schon vor Kronos schlecht. Ich will nicht, dass er dich noch mal verletzt.«
Annabeth schob die Lippen vor. Ich wusste, sie versuchte, nicht wütend zu werden. »Und du wirst sicher verstehen, dass ich hoffe, du irrst dich vielleicht doch.«
Ich wandte mich ab. Ich hatte das Gefühl, mein Bestes getan zu haben, aber deshalb fühlte ich mich auch nicht besser.
Auf der anderen Seite der Straße hatten die Apollo-Leute ein
Feldlazarett eingerichtet, um die Verwundeten zu behandeln –
Dutzende von Campern und fast ebenso viele Jägerinnen. Ich sah den Sanitätern bei der Arbeit zu und dachte an unsere geringen Chancen, den Olymp zu halten …
Und plötzlich war ich nicht mehr da.
Ich stand in einer langen dunklen Bar mit schwarzen Wänden,
Neonreklame und feiernden Erwachsenen. Ein Banner über dem
Tresen verkündete ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, BOBBY
EARL. Countrymusik strömte aus den Lautsprechern. Muskulöse
Typen in Jeans und Flanellhemden drängten sich am Tresen. Kell-nerinnen trugen Tabletts voller Gläser und riefen einander irgendetwas zu. Es war so ziemlich genau das Lokal, in das meine Mom mich niemals hineinlassen würde.
Ich steckte ganz hinten im Gewühl fest, bei den Toiletten (die nicht sonderlich gut rochen) und einigen uralten Spielautomaten.
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»Ah, gut, da bist du ja«, sagte der Mann am Pac-Man-Auto-
maten. »Ich nehme eine Cola light.«
Er war ein dicklicher Typ in einem Hawaiihemd mit Leoparden-
muster, lila Shorts, roten Turnschuhen und schwarzen Socken, was schon irgendwie auffällig wirkte. Seine Nase war knallrot. Um
seine schwarzen Locken war ein Verband gewickelt, als ob er sich gerade von einer Gehirnerschütterung erholte.
Ich blinzelte. »Mr D?«
Er seufzte, ohne die Augen vom Spiel zu lassen. »Wirklich, Peter Johanson, wie lange wirst du noch brauchen, um mich auf Anhieb wiederzuerkennen?«
»Ungefähr so lange, wie Sie brauchen werden, um sich meinen
Namen zu merken«, murmelte ich. »Wo sind wir?«
»Auf Bobby Earls Geburtstagsparty natürlich«, sagte Dionysos.
»Irgendwo im wunderschönen ländlichen Amerika.«
»Ich dachte, Typhon hätte Sie vom Himmel gefegt. Angeblich
haben Sie eine Bruchlandung hingelegt.«
»Deine Besorgnis ist rührend. Es war tatsächlich eine Bruch-
landung. Hat echt wehgetan. Ein Teil von mir ist übrigens noch immer dreißig Meter tief in einem verlassenen Kohlenbergwerk verschüttet. Es wird noch Stunden dauern, bis ich genug Kraft habe, mich erneut zu erheben. So lange ist ein Teil meines Bewusstseins
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