Percy Pumpkin (Bd.1) - Mord im Schloss
nur ein Stöckchen an, das er aus dem Schnee gezogen hatte.
Ärgerlich warf Percy den Stock in weitem Bogen von sich und sah zu, wie Jim ihm hinterhersprang. An den Fußspuren von Jason und Cyril würden sie sich jedenfalls nicht orientieren können. Es hatte wieder zu schneien begonnen, in so dichten, schweren Flocken, dass im Nu alle Spuren überdeckt waren. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als aufs Geratewohl loszulaufen und darauf zu hoffen, dass sie zufällig den richtigen Weg erwischten.
Sie hatten Glück. Schon beim dritten Versuch fanden sie den Eingang des Labyrinths, der nicht weit von der Küchentür entfernt lag.
Percy blieb stehen. Genau dort hatte ihn Brenda vorgestern bei strahlendem Sonnenschein fröhlich winkend begrüßt. Jetzt befand sich eine hohe Schneewehe vor der Tür und alles war dunkel und leer.
Frierend stand Percy am Rand des Schlossgrabens und ließ seinen Blick über das düstere Wasser gleiten. Claire hatte ihm gestern erzählt, dass die Darkmoors früher so gut wie nie gegen ihre Feinde kämpfen mussten, weil die meisten von ihnen der seltsamen Anziehungskraft des Schlossgrabens erlegen und in seinen Tiefen ertrunken waren. Sie seien sogar
freiwillig
dort hineingesprungen, und dieser Umstand hätte dazu geführt, dass Darkmoor Hall bis heute als verflucht galt …
Percy fühlte sich mit einem Mal ganz kraftlos und müde. Von dem schwarzen Wasser wie magisch angezogen, ging er einen Schritt auf den Graben zu und beugte sich weit über das Brückengeländer.
Ein schwindelerregender Sog schien ihn in die Tiefe zu ziehen. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, einfach hineinzuspringen? Percy setzte einen Fuß auf das Geländer und beugte sich noch ein Stückchen weiter vor.
»Percy, du Trottel, was machst du denn da? Hier sind wir!«, riss Claires Stimme ihn im nächsten Moment aus seinen trüben Gedanken. Sie winkte ihm aus dem Küchenfenster energisch zu. Hinter ihr standen John und Linda, und ein warmes, flackerndes Licht umgab ihre Köpfe. Offenbar hatten sie ein Feuer im großen Kamin der Küche angezündet.
Wenig später saß Percy auf der Ofenbank und Jim lag an einem warmen Plätzchen darunter. Linda hatte eine Tasse mit heißem Kakao vor Percy auf den Tisch gestellt, und allein der Duft des süßen Getränks reichte aus, um die Schwermut zu vertreiben, die ihn gerade befallen hatte.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du dich vor dem Schlossgraben in Acht nehmen musst!«, sagte Claire und bohrte ihm vorwurfsvoll ihren rechten Zeigefinger in die Brust. »Der Borger lauert darin und wartet nur darauf, dass du ihm zu nahe kommst.«
»Wer ist denn der Borger?«, wollte Percy wissen. Er konnte sich nicht daran erinnern, diesen komischen Begriff schon einmal gehört zu haben.
»Das weiß keiner so genau«, sagte John und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
»Eins der vielen Ammenmärchen, die hier in der Gegend erzählt werden«, antwortete Linda, während sie Eier in eine Pfanne schlug. »Den Borger gibt es natürlich gar nicht.«
»Ich wäre mir da nicht so sicher«, entgegnete Claire und schaute aus dem Fenster. Schließlich sagte sie mit düsterer Stimme:
»Unten in der Tiefe wacht
der Borger. Und um Mitternacht
hat er dich um den Schlaf gebracht.
Hat sich ein Nest gemacht
in deinem Kopf.
Und am Schopf
zieh’n sie dich aus dem kalten Graben,
oben fliegen schwarze Raben.
Rabe lacht.
Borger wacht.«
Claire und Linda brachen in Gelächter aus, John rutschte noch unruhiger hin und her und Percy trank schnell einen weiteren Schluck Kakao. Das Gedicht, das Claire da gerade aufgesagt hatte, setzte ihm irgendwie zu. Warum, wusste er nicht genau, vielleicht weil er die Macht des Borgers eben noch am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte? Oder weil er heute Nacht von diesem schrecklichen Albtraum gequält worden war? Percy bekam eine Gänsehaut.
Zum Glück begann gerade eine große Portion Schinkenspeck in der Pfanne zu brutzeln, die Linda großzügig mit Aunt Annie’s Worcestershire-Sauce gewürzt hatte.
Kurze Zeit später war die Küche von einem so appetitlichen Duft durchzogen, dass allen das Wasser im Mund zusammenlief. Und schon nach wenigen Bissen von dem knusprigen Schinkenspeck hatte Percy das Gefühl, es mit sämtlichen Borgern der Welt aufnehmen zu können.
»Warum hast du dich denn eigentlich so früh morgens am Schlossgraben herumgetrieben?«, fragte Claire. »Konntest du nicht schlafen?«
»Nein«, sagte Percy und schaufelte sich eine
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