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Perdido - Das Amulett des Kartenmachers

Titel: Perdido - Das Amulett des Kartenmachers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Stevens
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machte sich so schwer, wie er konnte. Doch als der Vogel mit den mächtigen Schwingen schlug, schleiften seine Füße durch den Sand.
    Der Rattenvogel kreischte abermals gellend, und Hugo kam es einen aberwitzigen Augenblick lang so vor, als wollte das Untier verkünden: »Meins! Meins! Meins!«
    Hugo bückte sich nach einem armlangen Ast und holte mit aller Kraft weit aus wie mit einer Axt. Der Ast traf den Rattenvogel in den Nacken, worauf das Vieh ein abscheuliches Quäken ausstieß, sich duckte, von Walter abließ und das Weite suchte.
    Mit einem erleichterten Seufzer half Hugo seinem Onkel hoch und beide drückten sich wieder an die Felswand. Als Walter diesmal umhertastete, entdeckte er einen gut dreißig Zentimeter breiten und neunzig Zentimeter hohen Spalt im Gestein.
    »Los, kriech da rein!«, befahl er.
    Hugo streckte den Kopf in den Spalt, drehte sich auf die Seite und zwängte einen Arm und ein Bein in die enge Öffnung. Unter gequältem Ächzen und etlichen Verrenkungen gelang es ihm, sich ganz hindurchzuquetschen, und er landete zu seiner Überraschung in einer kleinen Höhle, in der man sogar aufrecht stehen konnte.
    »Komm auch rein!«, rief er Walter zu. »Hier ist genug Platz für uns beide.«
    Walter schob den Kopf durch die Öffnung, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Er streckte einen Arm zu Hugo hinein, aber alles Übrige wollte beim besten Willen nicht hindurchpassen.
    »Es hat keinen Zweck«, ächzte Walter schließlich. »Ich suche mir ein anderes Versteck.«
    Da änderte sich auf einmal sein Gesichtsausdruck. Erst blickte er erstaunt drein, dann seltsam bekümmert. Oder eher schicksalsergeben?
    Und dann verschwand Walter rückwärts und ruckelnd aus der Öffnung, als gehorchte er einem unsichtbaren Sog. Er plumpste bäuchlings in den Sand.
    Der entsetzte Hugo begriff, dass ein Rattenvogel seinen Onkel gepackt hatte. Der alte Mann strampelte und stand mit einem Mal, als seine Füße ruckartig angehoben wurden, auf dem Kopf.
    Ihre Blicke begegneten sich.
    »Kümmere dich nicht um die Karte, Hugo! Sieh einfach zu, dass du heil wieder aufs Schiff und nach Hause kommst!«, rief Walter.
    Ehe Hugo etwas erwidern konnte, entschwebte sein Onkel. Hugo legte das Auge an den Felsspalt, um einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen, aber der Rattenvogel hatte sich schon hoch in die Lüfte geschwungen. Mit einer Klaue hielt er Onkel Walter am Knöchel und schwenkte ihn wie eine Lumpenpuppe hin und her. Hugo sah den beiden nach, bis sein Onkel außer Sichtweite war. Ihm war übel, als er sich auf den Boden der stockfinsteren Höhle setzte. Jetzt hatte er niemanden mehr. Er war ganz allein.

14. Kapitel
    H
ugo schlotterte vor Angst und Kälte. Er wünschte, seine Eltern wären bei ihm. Nein – eigentlich wünschte er eher, sie wären alle wieder zu Hause, wie es vor Jahren gewesen war. Wenn er die Augen schloss, sah er seine Eltern ganz deutlich vor sich.
    Seine Mutter war eine kleine Frau mit haselnussbraunen Locken und freundlichen braunen Augen. Sein Vater war groß und schlank. Er hatte glattes blondes Haar und blaue Augen. Während die Mutter von früh bis spät Brot buk, putzte und nähte, arbeitete der Vater in seiner Werkstatt, einem Schuppen neben dem Haus. Hugo konnte ihm stundenlang dabei zusehen, wie er sägte, hobelte und schnitzte. Der Verstand seines Vaters war so wach, wie seine Hände geschickt waren. Beim Arbeiten dachte er sich Rätsel aus, die Hugo lösen musste. Wenn Jack nicht arbeitete, wanderte er mit seinem Sohn aufs Land hinaus und lehrte ihn die Namen der Pflanzen und Wildtiere. Abends hörte ihm Hugo zu, wie er fantastische Geschichten von Onkel Walters Reisen in ferne Länder erzählte.
    Als er daran dachte, wie ihm sein Vater das Schachspielen beigebracht hatte, fasste Hugo nach dem Springer um seinenHals. Einmal, als er im Spiel schon die meisten seiner Figuren verloren hatte, war Hugo ärgerlich geworden.
    »Ich geb’s auf«, hatte er missmutig gesagt.
    »Das Spiel ist noch nicht vorbei«, hatte sein Vater erwidert.
    »Aber ich verliere sowieso, was hat es da für einen Sinn, weiterzuspielen?«
    »Du kannst immer noch gewinnen. Ein Bauer und ein Springer können ein ganzes Heer von Figuren schlagen, wenn man sie mit Bedacht einsetzt«, hatte ihm sein Vater widersprochen. »Man soll nie aufgeben, ehe das Spiel vorbei ist.«
    Als er damals ins Waisenhaus gekommen war, hatte sich Hugo schrecklich allein gefühlt. Aber jeden Morgen hatte er an den Rat seines Vaters gedacht und

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