Perdido - Im Bann des Vampirjägers
Kapitel
H
ugo führte die Truppe an, während Herkules im Tornister seines Freundes ein Schläfchen hielt. Lupus und Otis folgten ihnen wortlos, Kristall glitt geschmeidig zwischen ihnen einher.
»Sagen Sie mal, Otis …«, fragte Hugo beiläufig, »… warum haben Sie sich, als Sie in Dämonien waren, nicht einfach an Marcellos Karte gehalten?«
Otis lachte. »Weil ich damit nichts anfangen kann. Was mich betrifft, könnte die Karte ebenso gut auf Althebräisch verfasst sein, das würde ich auch nicht verstehen.«
»Aber als Sie an dem bewussten Abend wieder gegangen waren, hat sich Onkel Walter noch stundenlang in die Karte vertieft. Am nächsten Morgen hat er ganz früh das Haus verlassen, weil er ihnen erzählen wollte, was er herausgefunden hatte.«
»Tja, er hat mich aber nicht im Gasthof aufgesucht. Ich habe den ganzen Vormittag vergeblich auf ihn gewartet. Wahrscheinlich haben ihn die Banditen auf dem Weg durch die Stadt abgefangen.«
»Das kann nicht sein. Er ist noch einmal nach Hause gekommen. Sein Mantel lag auf dem Boden.«
»Dann sind die Banditen vielleicht noch einmal mit ihm nach Hause gegangen, damit er seine Ausrüstung holen kann.« Otis legte Hugo väterlich die Hand auf die Schulter.
»Sie sind meinem Onkel nach jenem Abend also nicht mehr begegnet?«
»Leider nein.«
»Aber …« Hugo erschauerte und biss sich auf die Zunge.
»Mach dir nicht so viele Sorgen, Hugo«, sagte Otis herzlich. »Bald ist dein Onkel in guten Händen.«
Der Abstieg in das von steilen Felswänden umgebene Hochtal dauerte dann doch länger, als Hugo gedacht hatte. Der Bergkamm hinter ihnen warf seinen langen Schatten über den Pfad vor ihren Füßen, als Lupus etwas entdeckte.
Unter einem Felsüberhang hatte jemand in einer hohen Schneewehe eine ansehnliche Schneehöhle ausgehoben.
Otis blieb als Wache draußen stehen, die anderen wagten sich in die Höhle hinein. Drinnen war es überraschend gemütlich. Der Wind gelangte nicht bis ganz hinein, und dank ihrer vereinten Körperwärme herrschte bald eine angenehme Temperatur. Sie standen geduckt unter der niedrigen gewölbten Decke und sahen sich um, konnten aber keine wie auch immer gearteten Spuren entdecken.
»Kommt, wir gehen wieder«, sagte Hugo schließlich.
Er wandte sich zum Gehen, da hielt ihn Lupus am Arm fest.
Der wilde Mann deutete mit dem knochigen Zeigefinger auf den Boden der Höhle. Dort lagen neun kleine Steine.
Kristall rieb sich nachdenklich mit der Pfote das Ohr. »Komisch. Ob hier jemand Steinchen als Wurfgeschosse gesammelt hat?«
»Klar doch«, erwiderte Herkules. »Eine Handvoll Kiesel ist immer noch die beste Waffe, wenn man von einer Horde blutgieriger Vampire angegriffen wird. Vor nichts fürchtet sich ein Vampir mehr, sei er nun lebendig oder tot, als vor einem gut gezielten Kieselstein.«
Hugo hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und betrachtete die Steinchen. »Auf den ersten Blick sieht es ja so aus, als ob die Kiesel ganz zufällig hier herumliegen. Trotzdem … ihre Anordnung erinnert mich an irgendetwas.«
»Geht es noch jemandem so?«, fragte Herkules in die Runde.
»Ich habe einfach das Gefühl, dass sie nicht zufällig so angeordnet sind … sondern dass jemand sie absichtlich so hingelegt hat.«
»Glaubst du, dein Onkel wollte uns wieder einmal einen Hinweis hinterlassen?«, fragte Kristall. »Aber was will er uns sagen?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Wenn ihr wollt, kann ich versuchen, mich in Trance zu versetzen«, schlug die Katze vor. »Das kann zwar ein paar Stunden dauern, aber ich kann den Steinen bestimmt eine übersinnliche Botschaft entlocken.«
»Nein, nein, NEIN, NEIN!« Herkules sprang auf einen der Kiesel und fuchtelte wild mit Pfoten und Ohren.
»Soll ich deinem kleinen Anfall entnehmen, dass du etwas gegen Kristalls Vorschlag einzuwenden hast?«, fragte Hugo.
»Ich habe nicht nur etwas dagegen einzuwenden«, entgegnete Herkules nun wieder in ruhigem Ton, »ich bin ganz und gar dagegen und zwar aus mindestens zehn Gründen. Erstens war bis jetzt noch jede ihrer Vorhersagen derart nebulös, dass wir wahrhaftigdarauf verzichten können. Zweitens können wir uns nicht stundenlang damit aufhalten, dass sie jeden einzelnen Kiesel beschnüffelt, sich die Schnurrhaare streicht und auf eine Botschaft aus dem Jenseits wartet. Genauso gut könnte sie dich nach Onkel Walters Sternzeichen fragen und uns sein Horoskop erstellen. Fünftens bin ich hier bestimmt nicht der Einzige
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