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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Mannschaften auf den Anlegern hinüber. Der Himmel war überzogen mit Wolkenschlieren. Die warme Luft roch abwechselnd frisch und faulig, je nachdem, ob der vom Wind herangetragene Frühlingsduft knospender Bäume die Oberhand gewann oder der Gestank der sich vor Wehren und in Ufertaschen stauenden Industrieabwässer.
    Teafortwo schoss wie eine Kanonenkugel, umhagelt von Splittern, aus dem Fenster des Lagerhauses am Paddler Way. Plärrend und greinend wie ein kleines Kind, beschmiert mit Blut und Tränen, strampelte er sich in den Himmel und stob schlingernd in Richtung Pincod und Abrogate Green davon.
    Wenig später folgte ihm eine zweite, dunklere Gestalt in den Abendhimmel.
    Die erstaunliche frisch geschlüpfte Kreatur kroch aus einem Dachfenster und schwang sich in die Dämmerung hinaus. Auf festem Boden hatte sie sich zaghaft bewegt, ein Erproben ungewohnter Gliedmaßen. Die Luft jedoch war ihr Element, von dem sie ohne Zaudern Besitz ergriff.
    Die flammenartig gezackten Flügel öffneten und schlossen sich in mächtigen, lautlosen Schwüngen, deren jeder einen kleinen Sturm entfachte. Isaacs monströser Zögling verharrte einige Augenblicke gaukelnd am Abendhimmel, dann zog er davon, in dem ziellos anmutenden, ungraziösen Flatterflug eines Schmetterlings. Auf seiner Bahn hinterließ er Turbulenzen aus Windböen und Schweiß und aphysischen Ausdünstungen. Noch war er nicht völlig getrocknet.
    Er war euphorisch. Er schleckte mit der Zunge durch die abendkühle Luft.
    Die Stadt unter ihm gärte wie Maische. Ein Palimpsest von Sinneseindrücken umspülte die Kreatur. Geräusche und Gerüche und Lichter, die als synästhetische Flut ihre fremdartigen Sinne reizten.
    Von New Crobuzon stieg wie Dampf die reiche Geschmackswitterung von Beute auf.
    Das Ding hatte gefressen, war gesättigt, aber der Überfluss an Nahrung verwirrte es, weckte Appetit, und es sabberte und schmatzte und wetzte aufgeregt die scharfen Zähne.
    Es folgte der Lockung. Seine Flügel flirrten und bebten, als es zu den unbeleuchteten Gassen hinunterschwebte. Sein Jagdinstinkt riet ihm, die unregelmäßig über das Stadtgebiet verteilten großen Teiche aus Licht zu meiden, sich an die dunklen Stellen zu halten. Es schlenkerte die Zunge durch die Luft und schmeckte Nahrung, schlüpfte mit akrobatischem Geschick in die lichtlosen Schluchten zwischen Backsteinmauern. Wie ein gefallener Engel schwebte es hernieder in die verwinkelte Sackgasse, wo eine Prostituierte und ihr Kunde an die Mauer gelehnt einen schnellen Fick absolvierten. Ihre selbstvergessene Bockerei stockte, als sie die Anwesenheit von etwas Fremdem spürten.
    Der Schreck währte nur kurz, die Schreie verstummten, als die Kreatur ihre Flügel öffnete.
    Und sich gierig auf die Beute stürzte.
     
    Anschließend stieg sie wieder auf, genusstrunken.
    Schwebend zog sie Kreise, suchte die Mitte der Megalopole, unwiderstehlich angezogen von dem riesigen Gebilde der Perdido Street Station. Sie flog nach Westen, über Spit Hearth hinweg und den Rotlichtbezirk, über The Crow, diese widersprüchliche Ansammlung von Armut und Kommerz. Dahinter – scharfe Klippe, an der sich die Winde brachen – ragte der schwarze Bau des Parlaments auf, und die Miliztürme von Strack Island und Brock Marsh. Die Kreatur folgte mit schlenkernder Zunge der Drahtseilbahn, welche diese untergeordneten Türme mit dem Spike an der westlichen Flanke der Perdido Street Station verband.
    Sie erschrak, als Gondeln an der Trosse entlangsausten, verharrte aber trotzdem auf der Stelle, fasziniert von dem Rattern der Züge, die aus der Station ausfuhren, und der Ausstrahlung des steinernen Kolosses, der massig, grollend und murrend tief unten kauerte.
    Vibrationen in hundert Registern und Tonarten lockten das Wesen, von Energien und Emotionen und Träumen, die sich in den Backsteingewölben der Station vermischten, stauten und in den Himmel ausdünsteten. Eine konzentrierte, unsichtbare Duftfährte.
    Die wenigen Nachtvögel machten einen weiten Bogen um den Eindringling in ihr Reich, der mit schweren Flügelschlägen dem dunklen Herzen der Stadt zustrebte. Wyrmen bei ihren Besorgungen sahen die unbegreifliche Silhouette und wichen aus, schimpfend und fluchend. Lauter tönten die Megafone und Signalpfeifen, mit denen die Luftschiffe kommunizierten, die wie fette Barsche zwischen Stadt und Himmel dümpelten. Während sie schwerfällig manövrierten, huschte das Wesen an ihnen vorbei, ungesehen, außer von einem

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