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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Raum.
    Es war ein Speicher, sehr groß und leer. Eine mächtige, gallertige Welle aus Willkommen und Warnung brandete dem Eindringling von jenseits des mit Kehricht übersäten Dielenbodens entgegen.
    Dort befanden sich vier seiner Artgenossen. Verglichen mit ihnen war er klein, die majestätische Ausgewogenheit ihrer Statur ließ ihn verkümmert, krüppelig erscheinen. Sie waren an der Mauer festgekettet; dicke, breite Eisenspangen umschlossen Leibesmitte und Gliedmaßen, die Flügel lagen ausgebreitet flach an der Mauer, jedes Paar einzigartig in Muster und Zeichnung. Jedem Geschöpf war ein Eimer untergeschoben.
    Ein kurzes Rütteln zeigte dem Retter, dass diese Fesseln nicht zu sprengen waren. Einer der Gefangenen zischte ihn an, befahl ihm herrisch zuzuhören. Die Kommunikation bestand in einem telepathischen Zwitschern.
    Der Zurechtgewiesene, plötzlich nur mehr Handlanger, zog sich in den Schatten zurück und verhielt sich still.
    Von der Straße her, wo das Fenster zersprungen war, tönten Rufe und Geschrei herauf. In den unteren Stockwerken rumpelte es und polterte, in dem Gang vor der Tür hörte man laufende Schritte. Einzelne Gesprächsfetzen fanden den Weg durch das Holz.
    »… im Haus … «
    »… hereingekommen?«
    »… Spiegel, auf keinen Fall …«
    Die Kreatur verbarg sich in der tiefen Dunkelheit am anderen Ende des Raums. Sie legte die Flügel zusammen und wartete.
    Riegel wurden zurückgeschoben. Ein Augenblick des Zögerns, dann flog die Tür auf, und dicht hintereinander stürmten vier bewaffnete Männer herein. Keiner von ihnen schaute zu den gefangenen Kreaturen. Zwei hatten schwere Steinschlosspistolen, geladen und schussbereit. Zwei waren Remade. In der linken Hand hielten auch sie Pistolen, doch an ihre rechte Körperseite waren dicke Gewehrläufe angefügt, die sie über die Schulter gelegt trugen, sodass die trichterförmige Mündung nach hinten wies. Diese brachten sie sorgfältig in Position, dabei orientierten sie sich mittels der Spiegel an ihrem Helm.
    Die zwei Männer mit konventionellen Waffen trugen ebensolche Helme, doch sie schauten an den Spiegeln vorbei in den dunklen Raum vor ihnen.
    »Vier Falter, und alles in Ordnung!«, bellte einer der Remade. Er hielt den Blick unverwandt in den Spiegel gerichtet.
    »Hier ist auch nichts …«, antwortete einer der Männer, die mit ihren Blicken das Dunkel um die zerklüftete Fensteröffnung zu durchdringen versuchten. Kaum dass er es ausgesprochen hatte, trat der Eindringling aus dem Schatten und breitete seine phantasmagorischen Schwingen aus.
    Der Wächter und sein Nebenmann prallten zurück und rissen den Mund auf, um zu schreien.
    »O Jabber, nein …«, stieß einer hervor, dann schwiegen beide still, als die Muster auf den Flügeln zu kreisen und zu fließen begannen wie ein sinnverwirrendes, düsteres Kaleidoskop.
    »Was zum Seibeiuns …?«, begann einer der Remade und sein Blick irrte unwillkürlich in die Richtung, in die seine Kameraden schauten. Grauen malte sich auf seinen Zügen, doch sein angstvolles Ächzen erstarb sehr schnell, als er in den Bann der magischen Flügel geriet.
    Der zweite Remade rief die Namen seiner Kameraden und wimmerte leise, als er das Poltern ihrer zu Boden fallenden Waffen hörte. Aus den Augenwinkeln nahm er die vagen Umrisse einer Gestalt wahr. Die Kreatur vor ihm spürte sein Entsetzen. Sie schritt auf ihn zu und summte beschwichtigend auf einem emotionalen Vektor. Im Gehirn des Mannes kreiste nur ein einziger Gedanke: Da ist einer vor mir da ist einer vor mir …
    Der Remade versuchte, sich vorwärtszubewegen, und hielt den Blick starr in den Spiegel gerichtet, aber die Kreatur schob sich mühelos in sein Gesichtsfeld. Was er nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, wurde zu einem unentrinnbaren bewegten Vexierbild, und sein Widerstand brach. Seine Augen wanderten zu diesen ständig sich verändernden Flügeln, und sein Gesicht erschlaffte, der Unterkiefer fiel herab. Er ließ den Gewehrarm sinken.
    Mit dem Schwenk einer Hautfalte schloss die eingedrungene Kreatur die Tür. Sie stand vor den vier willenlosen Männern, und Sabber troff aus ihrem Maul. Ein scharfer Befehl seiner gefangenen Artgenossen rief sie zur Ordnung. Sie streckte zwei ihrer Gliedmaßen aus und drehte ihre Opfer der Reihe nach zu den gefangenen Faltern um.
    Es gab für jeden der Männer einen winzigen Moment, in dem er nicht mehr auf diese Flügel schaute und sein Verstand sich von dem Bann zu befreien versuchte,

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