Perdido Street Station 01 - Die Falter

wie ein Stilett.
    Der Tarantel vergleichbar bewegte der Weber jeweils nur ein Bein, hob es sehr hoch und setzte es nieder mit der Delikatesse eines Chirurgen oder Künstlers. Eine bedachtsame, bedrohliche, menschenfremde Fortbewegung.
    Aus demselben geheimnisvollen Körperteil wie dieses hohe vierspitzige Gatter wuchsen zwei Paar kürzere Gliedmaßen. Ein Paar, anderthalb Meter lang, trug er an den Ellenbogen schräg nach oben gewinkelt. Jede der beiden schlanken, harten Chitinlanzen endete in einer halbmeterlangen Kralle, einem grausamen blanken Krummsäbel aus dunkelrotem arachnidem Bein, scharfschneidig wie ein Skalpell. An der Ferse bog sich jeweils ein Sichelhaken, dazu bestimmt, Beute zu fangen, zu halten und aufzuschlitzen.
    Diese organischen Kukris ragten hoch wie gezückte Degen, wie Spieße. Eine ostentative Zurschaustellung mörderischen Potenzials.
    Davor hing das letzte, kürzeste Paar Gliedmaßen herab; an ihrem Ende, halbhoch gehalten, magere, winzige Hände, fünffingrig und schmal. Einzig die glatten Fingerspitzen ohne Nägel und die schwarze Haut, das irisierende Schwarz von reinem Pech, unterschieden sie von Kinderhänden.
    Der Weber hob diese Hände ein wenig höher und begann sie zu reiben und zu kneten, langsam, unablässig. Es war eine verstohlene, beunruhigend menschlich wirkende Geste und gemahnte an einen affektierten, heuchlerischen Priester.
    Die Speerspitzenbeine tippten näher. Die rotschwarzen Krallen drehten sich leicht und reflektierten das Nichtlicht. Die Hände wuschen einander in Unschuld.
    Unvermittelt schaukelte der Körper des Webers zurück und bedrohlich wieder nach vorn.
    … WELCH OPFERGABE WELCH GESCHENK DIE ZWIEHÄLFTIGEN SCHNEIDEDINGE DIE IHR MIR BRINGT … sagte er und streckte ruckartig die rechte Hand aus. Die Soldaten spannten sich kampfbereit.
    Rudgutter trat ohne Zögern vor und legte seine Schere in die offene Handfläche, dabei gab er Acht, nicht die fremde Haut zu berühren. Stem-Fulcher und Rescue folgten seinem Beispiel. Der Weber wich lidschlagschnell ein Stück zurück. Er bewunderte die Scheren, schob die Finger durch die Griffösen und ließ sie nacheinander in schnellem Stakkato auf- und zuschnappen. Im Nu stand er an der hinteren Wand des Raums und drückte die Scheren in einer bestimmten Ordnung an das kalte, feucht glänzende Mauerwerk.
    Tatsächlich blieb das tote Metall haften. Der Weber korrigierte die Positionen um pedantische Millimeter.
    »Wir sind hier, um dir eine Frage zu stellen.« Rudgutters Stimme klang fest.
    Der Weber drehte sich schwerfällig zu ihm herum.
    … DAS GESPINST VON FÄDEN UMWIRKT EURE ZAPPELNDEN PLAPPERNDEN BEINGERÜSTE WELCHE IHR DREHT UND WENDET ENTZWIRBELT UND NEU KNÜPFT EUER TRIUMVIRAT DER MACHT UMPANZERT VON DEN BLAUBETUCHTEN GESPICKT MIT FEUERSTEIN SCHWARZPULVER EISEN IHR SELBDRITTEN HABT GEFANGEN NIEDNAGELSEELEN AN DEM GEWIRK KLETTEN DIE FÜNF GEFLÜGELTEN SCHÄDLINGE MORDEND ENTWEBEN SYNAPSEN GANGLIENGEIST SCHLÜRFEN SEELENFASERN …
    Rudgutter warf einen scharfen Blick zu Rescue und Stem-Fulcher. Alle drei bemühten sich angestrengt, dem Traumgesang zu folgen, der die Sprache des Webers war. Eins hatten sie deutlich verstanden.
    »Fünf?«, flüsterte Rescue, zu Rudgutter und Stem-Fulcher hinüberschauend. »Vielgestalt hat nur vier Falter gekauft …«
    … FÜNF GLIEDER EINER HAND UM ZU SCHADEN UM WELTENFADEN VON DEN SPINDELN DER STADTWOHNER ZU HASPELN FÜNF DIE LÜFTE AUFWÜHLENDE INSEKTEN VIER FEIN GEFORMT EDEL BERINGT MIT SCHIMMERNDEM SCHMUCK EIN KURZER DAUMEN DÄUMLING HELFER SEINER MACHTVOLLEN GESCHWISTERFINGER FÜNF AN DER HAND …
    Die Soldaten zuckten, als der Weber sein gemessenes Menuett zu Rescue hinübertanzte. Er hob eine Hand, spreizte die Finger und hielt sie Rescue vor Augen, schob sie dichter und dichter an ihn heran. Die Luft um die Menschen koagulierte bei seinem Näherkommen. Rudgutter bezwang den Impuls, sich über das Gesicht zu wischen, es von diesen unsichtbaren, klebrigen Seidenfäden zu befreien. Rescue biss die Zähne zusammen. Durch die Reihe der Soldaten lief ein Murmeln grimmiger Machtlosigkeit. Ihnen wurde deutlich gemacht, dass sie nur Staffage waren.
    Rudgutter verfolgte das kleine Drama unruhig. Das vorletzte Mal, als er mit dem Weber verhandelte, hatte dieser die Notwendigkeit gesehen, eine rhetorische Figur, eine Metapher zu illustrieren, und er tat dies, indem er nach dem Milizhauptmann neben Rudgutter griff, ihn hochhob und mit großer Sorgfalt filetierte: Eine seiner