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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Verlängerungsventilanschlüssen dazu; Delikatessen, kostbare Tabatieren, Haute Couture.
    In den Seitenstraßen, die von den stolzen Promenaden abzweigten wie Kapillaren, reihten sich die Praxen von Anwälten und Ärzten und Notaren, Apotheken und Büros von Wohltätigkeitsorganisationen neben exklusiven Clubs. Seriöse Stützen der Gesellschaft in maßgeschneiderten Anzügen gingen dort ihren wichtigen Geschäften nach.
    Nischen der Armut und des Verfalls, abgedrängt in die weniger augenfällige zweite Reihe hinter den glänzenden Fassaden, wurden hochmütig übersehen.
    Spit Hearth, im Südosten, wurde von der Gleistrosse zwiegeteilt, die den Milizturm an der Spitze von Brock Marsh mit dem an der Perdido Street Station verband. Es gehörte zu derselben geschäftigen Zone wie Sheck, ein Tortenstück kleinerer Läden und Steinhäuser mit Ziegelmosaiken. Spit Hearth lebte von einer anrüchigen Industrie: Remaking. Wo der Ort an den Fluss grenzte, stiegen aus unterirdischen Vollstreckungsfabriken Schreie, manchmal, und flugs ersticktes Schmerzgeheul. Doch um das öffentliche Gesicht zu wahren, hatte man sich in Spit Hearth dazu durchgerungen, diesen unschönen Wirtschaftszweig mit einem diskreten Naserümpfen zu ignorieren.
    Es war ein lebendiger Ort. Pilger zogen hindurch zum Palgolaktempel am nördlichen Ende von Brock Marsh. Seit Jahrhunderten war Spit Hearth ein Sammelbecken für deviationistische Kirchen und religiöse Gemeinschaften. Manches Mauerwerk wurde einzig noch zusammengehalten von dicken Schichten übereinandergeklebter, modernder Plakate, die zu theologischen Streitgesprächen und Seminaren einluden. Die Mönche und Nonnen wunderlicher kontemplativer Sekten eilten gesenkten Hauptes durch das Gedränge und vermieden es, jemanden anzusehen. Derwische und Hieronymiker debattierten an Straßenecken.
    Eingezwängt zwischen Spit Hearth und The Crow lag das öffentlichste Geheimnis der Stadt. Ein schmuddeliger, peinlicher Fleck. Es war nur ein kleiner Bereich, nach den Maßstäben der Stadt. Ein paar Straßen mit alten, schmalbrüstigen Häusern, untereinander verbunden durch ein System von luftigen Stegen und Leitern. Eine Gegend, wo die schmalen Streifen Kopfsteinpflaster zwischen den Gebäuden ein schützendes Labyrinth sein konnten.
    Das Bordellviertel. Der Rotlichtbezirk.
     
    Der späte Abend fand David Serachin unterwegs im nördlichen Teil von Spit Hearth. Er hätte auf dem Nachhauseweg sein können, nach Skulkford: unter dem Gleis der Sud Line und der Trosse hindurch nach Westen, durch Sheck und vorbei an dem großen Milizturm nach Skulkford Green. Ein Umweg, aber nachvollziehbar.
    Doch unter den Bögen der Spit-Bazaar-Station nutzte er die Deckung, die ihm die Dunkelheit bot, um stehen zu bleiben und einen Blick zurückzuwerfen. Die Leute hinter ihm waren einfache Passanten. Keiner sah aus, als ob er ihn verfolgte. David zögerte einen Moment. Als er unter dem Gleis hervortrat, fuhr oben ein Zug vorbei und füllte die Backsteingrotten mit ohrenbetäubendem Dröhnen.
    David wandte sich nach Norden und folgte den Schienen zum Rand des Hurenviertels.
    Er grub die Hände tief in die Taschen und zog die Schultern hoch. Dies war sein schändliches Geheimnis. Er hasste sich selbst.
    Am Rand des Viertels galt das Warenangebot dem orthodoxen Geschmack. Ein paar Bordsteinschwalben flanierten auf und ab, aber die Freischaffenden, die andernorts in New Crobuzon die Szene beherrschten, waren hier die Ausnahme. Hier frönte man dem ausgedehnteren Genuss in geschlossenen Räumen. Gelegentlich sah man hier kleinere Läden für die alltäglichen Dinge, die auch in einer solchen Gegend gebraucht wurden. Aber die meisten der immer noch eleganten Bürgerhäuser des Viertels wurden vom Licht der traditionellen roten Gaslaternen beschienen. In manchen Eingängen standen junge Frauen in hautengen Gewändern, die den Vorübergehenden mit schmeichelnder Stimme Angebote machten. Hier waren die Straßen weniger belebt als anderswo in der Stadt, aber alles andere als ausgestorben. Die Männer waren in der Mehrzahl gut gekleidet; was hier feilgeboten wurde, hatte seinen Preis.
    Die Luft war schwer und warm, man sah die Sterne am wolkenlosen Himmel wie durch einen Schleier. Über den Dächern ein Flüstern und dann der Schwall des Fahrtwinds, als eine Milizgondel vorüberflog. Es war eine stadtplanerische Ironie, dass eine Trosse der Schwebebahn ausgerechnet über den Sumpf der Unmoral hinwegführte. Hin und wieder veranstaltete

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