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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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    »Tja«, sagte Bentham Rudgutter. »Ich konnte nichts aus ihm herauskriegen. Noch nicht.«
    »Nicht einmal den Namen seines Informanten?«, fragte Stem-Fulcher.
    »Nein.« Rudgutter spitzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Er stellt sich einfach dumm. Aber ich denke, das wird sich herausfinden lassen. Der infrage kommende Personenkreis ist nicht sehr groß. Es muss jemand aus F&E sein, vielleicht ein Mitarbeiter am GF-Projekt. Wenn die Inquisitoren ihn befragt haben, wissen wir mehr.«
    »Wahrscheinlich«, sagte Stem-Fulcher. »Oh, wir sind schon da.«
    »Wie es aussieht.«
    Stem-Fulcher, Rudgutter und MontJohn Rescue standen, umgeben von einer Eskorte aus Elitesoldaten, in einem Tunnel tief unter der Perdido Street Station. Gaslampen drückten verschwommene Lichtkreise in das Dunkel. Die Flecken diffuser Helligkeit setzten sich vor ihnen in ununterbrochener Reihe fort, so weit der Blick reichte. Hinter ihnen befand sich der Aufzugskäfig, den sie soeben verlassen hatten.
    »Nun denn«, sagte Rudgutter. »Ihr habt eure Scheren?« Stem-Fulcher und Rescue nickten. »Vor vier Jahren waren es Schachspiele. Als der Weber damals seine Vorlieben änderte, brauchte es drei Tode, bevor wir herausbekamen, was er wollte.« Ein beklommenes Schweigen entstand. »Keine Sorge, unsere Kenntnisse sind auf dem neuesten Stand«, beruhigte Rudgutter seine Minister mit einem Anflug von Galgenhumor. »Ich habe mich vor unserem Treffen mit Doktor Kapnellior unterhalten. Er ist unser hauseigener Experte für die Spezies der Weber – wenn man das so sagen kann. Eigentlich bedeutet das nur: Er weiß fast gar nichts über sie, statt überhaupt nichts, wie wir anderen. Er hat mir versichert, dass Scheren nach wie vor hoch im Kurs stehen.«
    Rudgutter schwieg einen Moment, bevor er hinzusetzte: »Ich übernehme das Reden. Ich habe früher schon mit ihm verhandelt.« Er wusste selbst nicht genau, ob das ein Vorteil war oder ein Nachteil.
    Der unterirdische Gang endete an einer dicken, eisenbeschlagenen Tür. Der Mann an der Spitze der Eskorte schob einen großen Schlüssel in das Schloss und drehte ihn mit einem Ruck herum. Er zog die Tür auf, was einigen Kraftaufwand erforderte, und marschierte in den dahinter liegenden Raum. Er machte seiner Ausbildung Ehre. Seine Disziplin war stählern. Immerhin musste er eine große Angst überwunden haben.
    Die übrigen Soldaten folgten ihm, dann Rescue und Stem-Fulcher, als Letzter Rudgutter. Er zog die Tür hinter sich zu.
    Unmittelbar nach dem Betreten des Raums erlebten alle einen Augenblick der Desorientierung, ein spinnwebfeines Unbehagen, das wie etwas Greifbares über ihre Haut streifte. Lange Fäden, unsichtbare Fasern aus gesponnenem Æther und Emotionen waren kreuz und quer in dem Raum drapiert, wehten hoch, wie von einem Luftzug aufgestört, und blieben an Haut und Kleidung der Eindringlinge haften.
    Rudgutter zuckte zur Seite. Aus den Augenwinkeln erspähte er Fäden, die ins Nichts schrumpften, wenn er den Blick darauf richtete.
    Der Raum wirkte verschwommen, als wäre er mit Spinngeweben verhangen. An den Mauern waren Scheren in bizarren Mustern arrangiert, jagten einander wie räuberische Fische, tummelten sich an der Decke, bildeten, um- und ineinandergeschränkt, beunruhigende geometrische Figuren.
    Die Soldaten und ihre Schutzbefohlenen nahmen an einer Wand Aufstellung. Sie konnten ihre Umgebung erkennen, obwohl keine bestimmte Lichtquelle auszumachen war. Die Atmosphäre in dem Raum war monochrom oder in irgendeiner Weise gebrochen; das Licht bleichsüchtig und verzagt.
    Sie warteten. Lange. Die Stille war absolut.
    Langsam und überlegt griff Bentham Rudgutter in seinen Beutel und nahm die große graue Schere heraus, die er von einem Mitarbeiter in der untersten Einkaufsgalerie der Perdido Street Station hatte besorgen lassen.
    Er öffnete die Schere lautlos, hielt sie hoch und ließ sie zuschnappen. Das unverwechselbare metallische Schleifen von Klinge an geschärfter Klinge hallte durch den Raum, gipfelnd in dem kurzen, malmenden Biss mit der Botschaft von Endgültigkeit.
    Die Echowellen zitterten wie Fliegen in einem Trichternetz, wanderten in eine dunkle Dimension im Zentrum des Raums.
    Ein kalter Hauch wehte den Versammelten eine Gänsehaut über den Körper.
    Das Scherenecho kehrte wieder, kroch über die Schwelle der Hörbarkeit, umgewandelt in Worte, eine Stimme, melodiös und melancholisch; raunend anfangs, gewann sie an Kraft, wob sich ins Sein aus den

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