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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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silbrigen Echofäden der gekreuzten Klingen. Sie war kaum zu beschreiben, herzzerreißend und furchteinflößend –, sie zog den Lauscher in ihren Bann und tönte nicht nur in den Ohren, sondern tief innen, in Blut und Bein und Nervenzentren.
    … GESTALT IN DIE FORM IN DIE GESTALTLICHKEIT EIN WILLKOMM ZU SPRECHEN IN DIESEM DEM SCHERENREICH WILL ICH EMPFANGEN UND EMPFANGEN SEIN …
     
    In der nachfolgenden unheimlichen Stille gab Rudgutter seinen beiden Ministern Zeichen, bis sie verstanden und ihre Scheren hoben, wie er es getan hatte, sie auf- und zuschnappten; fast spürte man das Geräusch und wie sie die Luft zerschnitten. Er stimmte ein; zu dritt öffneten und schlossen sie ihre Klingen in makabrem, stählernem Applaus.
    Die körperlose Stimme antwortete dem tönenden Geflitter mit einem Seufzen obszöner Lust. Wenn sie sprach, schien es, als sei das, was in die Hörbarkeit hinüberflutete, nur der Wellengipfel eines endlosen, auf- und abwogenden Monologs.
    … WIEDER WIEDER UND WIEDER LASST NICHT ENDEN DIESEN KLINGENKLANG DIESE SCHARFSCHNEIDIGE HYMNE DIE MICH ERFREUT ICH BEKENNE IHR SCHNIPPT UND SCHNAPPT SO NETT ADRETT IHR KLEINEN ENDOSKELETTLICHEN POSSEN IHR ZWICKT UND ZWACKT UND STÜCKT DIE FÄDEN DES NETZES UND GESTALTET MIT ANMUTIGEM GESCHICK …
    Aus den Schatten nicht sichtbarer Gestalten, verzerrten Schatten, überlang, wie von Ecke zu Ecke durch den quadratischen Raum gespannt, trat etwas hervor.
    Wurde Masse, wo vorher nichts gewesen war. Erschien hinter einem Faltenschlag des Raums.
    Es stelzte einher ballettös auf Zehenspitzen, der riesige Leib gewiegt in der Sänfte der hoch ausschreitenden Beinvielzahl. Ein mächtiger Schädel neigte sich lauschend, schauend aus großer Höhe hinunter zu Rudgutter und seinen Begleitern.
    Eine Spinne.
     
    Rudgutter hatte sich zu rigoroser Selbstbeherrschung erzogen. Er war ein fantasieloser Mensch, ein kalter Mensch im eisernen Panzer strikter Disziplin. Er war nicht mehr imstande, Grauen zu empfinden.
    Doch was er beim Anblick des Webers fühlte, kam dem sehr nahe.
    Der Weber war schlimmer, bei weitem furchteinflößender als der Botschafter. Die Höllenbrut war beängstigend, schrecklich; monströse Mächte, die Rudgutter profunden Respekt abnötigten. Und dennoch – er konnte sie verstehen. Sie waren Peiniger und Gepeinigte, berechnend und launenhaft. Verschlagen. Begreifbar. Sie waren politisch.
    Der Weber aber war ganz und gar – fremd. Bei ihm gab es kein Handeln, kein Taktieren. Es war versucht worden.
    Rudgutter rief sich scharf zur Ordnung, verärgert über den Anflug von Panik, den er nicht hatte unterdrücken können. Er befahl sich, die Kreatur aus dem Blickwinkel wissenschaftlichen Interesses zu studieren, um das instinktive Entsetzen durch den Intellekt zu relativieren.
    Für den Eindruck von Masse war in erster Linie der schwellende, tropfenförmige Leib verantwortlich, der sich hinter der Hals-Taille blähte, eine pralle, nachtschwarze Frucht, zweieinhalb Meter lang und anderthalb Meter breit. Er war vollkommen straff und glatt, polierter, irisierender Obsidian.
    Der Kopf des Webers hatte in etwa den Umfang eines menschlichen Brustkorbs. Er hing um ein Drittel nach unten versetzt vor dem Hinterleib, der sich – schwarz berockten, hochgezogenen Schultern ähnlich – darüber wölbte.
    Dieses arachnide Haupt bewegte sich langsam von einer Seite zur anderen, um die Besucher zu mustern.
    Die Kalotte glatt und kahl wie ein Totenschädel in Schwarz, darin vielfache Augen, in einem einzigen Tiefrot: Zwei Hauptaugen, groß wie Kinderköpfe, saßen in Gruben links und rechts, dazwischen ein viel kleineres drittes, darüber zwei weitere und darüber noch drei. Eine symmetrische Konstellation funkelnder Sterne auf dunklem Purpur. Eine unverwandt starrende optische Phalanx.
    Die komplexen Mundwerkzeuge des Webers entschränkten sich, die inneren Kiefer ein Zwischending von Mandibeln und einer Schlagfalle aus Ebenholz. In der Tiefe sah man schwarzrot den feuchten Schlund pulsieren.
    Die Beine, dünn und fleischlos wie menschliche Knöchel, entsprossen dem schmalen segmentierten Steg, der Kopf und Leib verband. Die vier hinteren dienten der Fortbewegung. Sie ragten in einem Winkel von 45 Grad zur Seite und in die Höhe, über den Kopf des Webers hinaus und auch über den Zenit der Wölbung des Hinterleibs, knickten am Kniegelenk spitz um und stachen annähernd senkrecht drei Meter hinunter zum Boden, den sie mit einer Spitze berührten, fein und scharf

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