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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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polsterte es mit Papierschnitzeln. Dann, einen Ausdruck furchtsamen Ekels auf dem Gesicht, zog er den Jackenärmel über die Hand und griff in die Schachtel. Er spürte den weichen Leib einer der dicken Raupen zwischen den Fingern. So behutsam und schnell er konnte, pflückte er sie aus dem Gewimmel ihrer Artgenossen, verfrachtete sie in das Etui, schloss es über der sich heftig windenden Kreatur und band es zu.
    Er verstaute das Brillenetui am Boden seiner Aktentasche, unter Pfefferminzbonbons und Dokumenten und Stiften und Notizbüchern.
    Er band die Schachtel wieder zu, lehnte sich dann rasch zurück und wartete. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und er war schweißgebadet. Er atmete tief ein und aus und kniff die Augen zusammen.
    Ruhig, ganz ruhig, ermahnte er sich. Das war alles an Nervenkitzel für heute.
    Zwei, drei Minuten vergingen und niemand kam. Der Registrar war immer noch allein. Seine momentane Geistesverwirrung war unbemerkt geblieben. Er atmete leichter.
    Nach einer Weile schaute er wieder auf den gefälschten Lieferschein. Täuschend echt. Er öffnete die Registrande und notierte in der Abteilung F&E Datum und Gegenstand: 27. Chet, Anno Urbis 1779: Von Kauffahrteischiff X, GF Raupen: 4.
    Die letzte Ziffer stach ihm in die Augen, als wäre sie in leuchtendem Rot geschrieben.
    Er machte den gleichen Eintrag in seiner Tagesliste, bevor er die wieder verschlossene Schachtel nahm und zum Versandschacht trug. Er öffnete die Tür, beugte sich in die kleine Öffnung und legte die Sendung für die Abteilung Forschung und Entwicklung in den wartenden Korb. Schale, trockene Luft wehte ihm aus dem schwarzen Hohlraum zwischen Haut und Fleisch des Parlaments ins Gesicht.
    Der Beamte schloss den Korb und die Tür. Er fummelte nach seinen Lochkarten und zog schließlich mit Fingern, die immer noch ein wenig zitterten, die mit F&E beschriftete Karte aus dem Packen. Er schob sie in den Schlitz.
    Ein von Zischen begleitetes Rattern ertönte und ein rhythmisches Schnarren, als die Informationen die Stafette aus Zapfen und Hämmern und Zahnrädern entlangwanderten und der Korb lotrecht nach oben gerissen wurde, hoch über das Büro des Registrars hinaus, empor zu den höchsten Zinnen des aus dem Felssockel von Strack Island aufwachsenden Parlaments.
     
    Die bewusste Schachtel wurde schaukelnd durch die Dunkelheit gehievt. Ohne etwas von der Reise zu ahnen, durchwanderten die Raupen mit peristaltischen Bewegungen ihr kleines Gefängnis.
    Lautlose Maschinen reichten den Korb von Haken zu Haken weiter, bugsierten ihn in neue Richtungen und setzten ihn auf rostige Transportbänder, um ihn an irgendeinem anderen Punkt wieder aufzunehmen. Der Korb wendelte sich unsichtbar durch das Gebäude, stieg allmählich und unaufhaltsam zum Hochsicherheitstrakt mit seinen gewachsenen Zinnen und Ausbauchungen empor.
    Endlich fiel er mit einem gedämpften Glockenton auf eine federnde Unterlage. Das Signal verhallte. Wenig später sprang die Tür des Schachts auf und die Schachtel wurde brüsk in blendende Helligkeit gezerrt.
    Der lang gestreckte weiße Raum hatte keine Fenster, Gasglühlampen spendeten Licht. Kein Staub, kein Schmutz wurde hier geduldet. Die Sauberkeit war schroff und aggressiv.
    Längs der Wände des Raums waren zahlreiche weiß gekleidete Gestalten mit nicht erkennbaren Tätigkeiten beschäftigt.
    Es war eine dieser sterilen, vermummten Gestalten, die die Schachtel nahm und mit spitzen Fingern vor sich hertrug. Am anderen Ende des Raums hatte einer ihrer Kollegen, ein dünner Kaktus, die Stacheln durch dicke weiße Overalls gepolstert, die große, mit Riegeln gesicherte Tür geöffnet, auf die sie zusteuerte. Sie zeigte ihre Kennkarte, und er trat beiseite, um sie vorgehen zu lassen.
    Beide schritten einen Flur entlang, ebenso weiß und kahl wie der Raum, aus dem sie gekommen waren, mit einer großen, eisernen Gittertür am anderen Ende. Der Kaktus sah, dass seine Kollegin die Schachtel vorsichtig in beiden Händen trug; er griff an ihr vorbei und schob eine Lochkarte in einen Schlitz in der Wand. Das Gittertor glitt zur Seite.
    Sie traten in einen riesigen dunklen Saal.
    Es war ein Saal, ein wirklicher Raum mit Wänden und Decke, auch wenn sie sich aufgrund der enormen Ausmaße dem Blick entzogen. Ein gemischter Chor ferner, fremdartiger Stimmen strömte von allen Seiten heran. Nach und nach, während ihre Augen sich langsam umgewöhnten, schälten sich Käfige aus schwarzem Holz oder Eisen oder Panzerglas aus der

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