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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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deine Kamera bereit … Also gut, auf ein Neues.«
    Er richtete sich auf, holte tief Atem und erklomm dann die letzten Stufen bis zur Tür, machte sie auf und trat hinaus ins grelle Tageslicht. Lin folgte ihm dichtauf, die schussbereite Kamera in den Händen.
    Khepriaugen brauchten keine Frist, um sich von hell an dunkel zu gewöhnen und von dunkel an hell. Lin fand sich auf einem Flachdach aus schrundigem Beton wieder, übersät mit Abfällen und Mauerbrocken. Während Isaac gequält die zusammengekniffenen Augen beschattete, betrachtete sie ausgiebig das Panorama, das sich ihr darbot.
    Im Nordosten lag Vaudois Hill, ein gewundener, lang gestreckter Hügelzug, der sich aus der Ebene erhob wie ein absichtlich aufgeschütteter Wall, um das Herz der Stadt vor Späherblicken zu schützen. Der Spike, Perdido Street Station, das Parlament, die Glashauskuppel: Sie ragten über diesen falschen Horizont hinaus. Gegenüber rollte der Rudewood als grünes, welliges Meer in eine dunstverhangene Ferne. Hier und dort durchbrachen kleine Kuppen aus nacktem Fels das Blätterdach. Im Norden hatte man freie Sicht bis zu den Zitadellen des Mittelstandes, Serpolet und Gallmarch, dem Milizturm von St. Jabber’s Mound, dem Hochbahngleis der Verso Line, das Creekside und Chimer teilte. Lin wusste, dass hinter diesen rußgeschwärzten Arkaden der Tar die Kähne aus den Steppen des Südens und ihre Ladung in die Stadt trug.
    Isaac ließ die Hände sinken, als seine Augen sich umgewöhnt hatten.
    Über ihren Köpfen tummelten sich Hunderte von Garuda, die jetzt ihre Besucher erspäht hatten und sich nach unten schraubten. Sie regneten aus der Luft wie überreife Äpfel und landeten rings um Lin und Isaac auf dem Dach.
    Nach Lins Schätzung waren es mindestens 200 an der Zahl. Sie rückte Schutz suchend etwas dichter an Isaac heran. Die Vogelmenschen maßen samt und sonders mehr als sechs Fuß, nicht eingerechnet die hoch über ihre Köpfe hinausragenden Spitzen der eingefalteten Schwingen. In Körpergröße und Muskulatur gab es keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Garuda. Die Frauen trugen dünne Hemden, die Männer Lendenschurz oder unterhalb der Knie abgeschnittene Hosen. Das war alles.
    Lin war fünf Fuß groß. Sie konnte nur die vorderste Reihe der Garuda sehen, die sie und Isaac in einer Armeslänge Abstand umringten. Aber als immer mehr von ihnen vom Himmel fielen, konnte sie abschätzen, wie viele es alles in allem sein mussten. Isaac tätschelte ihr geistesabwesend die Schulter.
    Immer noch gaukelten und jagten und spielten ein paar Nachzügler hoch über den Dächern. Als endlich auch der Letzte sich herbeibequemt hatte, ergriff Isaac das Wort.
    »Wunderbar«, begann er mit professoraler Stimmgewalt. »Danke vielmals, dass ihr uns nach hier oben eingeladen habt. Ich will euch ein Angebot machen.«
    »Wem genau?«, ließ sich eine Stimme aus der Menge vernehmen.
    »Nun, euch allen. Seht ihr, ich betreibe Forschungen auf dem Gebiet der – der Aviation. Des Fliegens. Und ihr seid die einzigen Wesen in New Crobuzon, die Flügel und Grips haben. Wyrmen sind nicht eben berühmt für ihre geistreiche Konversation.« Der kleine Scherz fand keine Würdigung. Isaac räusperte sich und fuhr fort.
    »Tja … Hm … Ich frage mich, ob irgendeiner von euch möglicherweise bereit wäre, zu mir in mein Laboratorium zu kommen, für ein paar Tage wissenschaftlicher Arbeit. Dazu gehört, mir die Mechanismen des Fliegens vorzuführen, die Bewegungsabläufe … Und ich möchte Aufnahmen von euren Flügeln machen …« Er griff nach Lins Hand mit der Kamera und zeigte sie herum. »Selbstverständlich zahle ich dafür. Ich wäre aufrichtig dankbar für eure Unterstützung meiner Arbeit …«
    »Was tust du?« Die Frage kam von einem der Garuda ganz vorn. Die anderen schauten zu ihm hin, als er sprach. Das, dachte Lin, ist ihr Wortführer.
    Isaac musterte ihn fragend.
    »Was ich tue? Du meinst …«
    »Ich meine, für was brauchst du Bilder? Was willst du damit?«
    »Nun – es handelt sich um die Erforschung der Mechanismen des Fliegens. Ich bin Wissenschaftler und …«
    »Bockmist! Woher wissen wir, dass du uns nicht abmurksen willst?«
    Isaac riss verdutzt die Augen auf, während die versammelten Garuda beifällig nickten und gurrten.
    »Weshalb beim zwiegeschwänzten Seibeiuns sollte ich euch abmurksen wollen …?«
    »Ich rate dir, schieß in den Wind, Bleibauch. Keiner von uns hat Interesse, dir zu helfen.«
    In der Menge

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