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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Ausblick versaut …« Er grinste schadenfroh.
    In der Ferne erspähte Lin eine Kerbe im Grat des Hügelwalls, wo die Züge der Sink Line durch einen tiefen Einschnitt nach Spatters hinunterfuhren. Die roten Ziegelmauern der Fell Stop Station leuchteten in der grauen Tristesse. In diesem Teil der Stadt verliefen die Gleise nur knapp oberhalb der Hausdächer, doch es bedurfte keines ausgeprägten architektonischen Strebens nach Höherem, um die benachbarten Bruchbuden zu überragen. Nur die von Immigranten besetzten Wohntürme wuchsen höher empor.
    Lin wandte den Kopf, als Isaac sie anstieß. Er zeigte auf ein Hochhauskarree dicht an der Bahnlinie.
    »Siehst du die?« Sie nickte. »Schau nach oben!«
    Lins Blick folgte seinem ausgestreckten Finger. Die untere Hälfte der hohen Gebäude wirkte verlassen, doch vom sechsten, siebten Stockwerk an aufwärts ragten Balken in abenteuerlichen Winkeln aus Öffnungen und Nischen. Die Fenster waren mit braunem Papier verklebt, im Gegensatz zu den leeren Höhlen der unteren Geschosse. Und hoch oben, auf den flachen Dächern, etwa auf einer Ebene mit Lins und Isaacs Standort, waren kleine Gestalten zu erkennen.
    Lin folgte der Aufwärtsbewegung von Isaacs Arm. Erregung durchzuckte sie. Geflügelte Wesen tummelten sich am Himmel.
    »Das sind Garuda«, sagte Isaac.
    Sie stiegen den Hang hinunter und hielten sich in Richtung der Eisenbahngleise, um bei den improvisierten Horsten der Garuda herauszukommen.
    »Fast alle Garuda der Stadt leben in diesen vier Gebäuden. Grob geschätzt gibt es nicht einmal zweitausend von ihnen in New Crobuzon. Damit beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung – wie war das noch? – Null Komma Null Drei Prozent…« Isaac grinste. »Du siehst, ich habe meine Hausaufgaben gemacht.«
    Aber nicht alle leben hier. Was ist zum Beispiel mit Krakhleki?
    »Klar, ein paar Garuda schaffen es, aus dem Ghetto herauszukommen. Ich hatte mal einen als Schüler, netter Bursche. Vermutlich gibt es ein paar in Dog Fenn, drei oder vier in Murkside, sechs in Gross Coil. Andere hat es, soweit ich weiß, nach Jabber’s Mound und Syriac verschlagen. Und ein- oder zweimal in jeder Generation kommt jemand wie dieser Krakhleki ganz groß raus. Ich habe übrigens noch nichts von ihm gelesen. Ist er gut?« Lin nickte. »Okay, also gibt es Ausnahmen wie ihn und noch ein paar andere – wie heißt der Kerl noch, der bei der Liberalen Vielfalt dabei ist? – Shashjar, das ist er. Sie lassen ihn mitspielen, um zu beweisen, dass die LV allen Xenianern offen steht.« Isaac gab ein würgendes Geräusch von sich. »Besonders den gut Betuchten.«
    Aber die meisten wohnen hier. Und es muss schwierig sein, von hier den Absprung zu schaffen …
    »Darauf kannst du wetten, und das ist noch eine Untertreibung.«
    Sie sprangen über einen Bach. Spatters sandte ihnen erste Ausläufer entgegen, und unwillkürlich gingen sie immer langsamer. Lin verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte ihren Kopfkörper.
    Was tue ich bloß hier?, zeigte sie sardonisch.
    »Deinen Horizont erweitern«, antwortete Isaac heiter. »Dich informieren, wie Minderheiten in unserer schönen Stadt leben.«
    Er zerrte an ihrem Arm, bis Lin sich unter gespieltem Protest unter den Bäumen hervorziehen ließ und hinein nach Spatters.
     
    Um in das Zentrum von Spatters zu gelangen, mussten Lin und Isaac auf einem Plankensteg einen zweieinhalb Meter breiten Graben überqueren, der das Elendsviertel von dem Vaudois-Hill-Park trennte. Sie balancierten im Gänsemarsch hinüber, an manchen Stellen mit ausgestreckten Armen, um bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    Anderthalb Meter unter ihnen brodelte eine Ekel erregende, breiige Kloake aus Scheiße und Industrieabwässern und saurem Regen. Faulgase stiegen in Blasen an die Oberfläche, aufgedunsene Tierkadaver trieben vorbei. Hier und dort tanzten rostige Dosen und unidentifizierbare Klumpen aus fleischigem Gewebe wie Tumore oder abgetriebene Föten. Gebunden von einer starken Oberflächenspannung, wogte die Suppe wie atmend auf und ab, statt Wellen zu schlagen. Steinchen, die von der Brücke hineinplumpsten, versanken ohne den kleinsten Spritzer.
    Obwohl er sich mit einer Hand Mund und Nase zuhielt, war der Gestank für Isaac zu viel. Mitten über dem Graben entrang sich ihm ein lautes Stöhnen und er musste würgen. Unter Auferbietung aller Willenskraft konnte er verhindern, dass ihm das Frühstück hochkam. Auf dieser Brücke weiche Knie zu bekommen, schwindelig

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