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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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zu werden, zu fallen – nicht auszudenken.
    Der Fäulnisgeschmack in der Luft bewirkte, dass Lin sich nicht weniger elend fühlte als Isaac. Als sie endlich das andere Ufer erreicht hatten, war beider gute Laune restlos verflogen. Schweigend drangen sie in das Gewirr der Gassen vor.
    Die kaum mehr als mannshohen Hütten machten ihnen die Orientierung leicht, sie hatten freien Blick auf ihr Ziel: die vier beisammenstehenden Wohntürme in unmittelbarer Nachbarschaft der Bahnstation. Manchmal ging Lin voran, manchmal Isaac. Immer wieder mussten sie über Güllegräben zwischen den Behausungen hinwegsteigen, aber mittlerweile waren ihre Geruchsnerven schon abgestumpft.
    Die Einwohner von Spatters kamen, um ihrer Neugier zu frönen.
    Männer und Frauen mit verhärmten Gesichtern, und Scharen von Kindern; alle steckten in einem kunterbunten Gemisch aus den abgelegten Kleidern anderer und zusammengenähtem Sackleinen. Kleine Hände und Finger grabschten nach Lin; sie schlug sie weg, schob sich vor Isaac. Halblautes Geraune steigerte sich zu vielstimmigem Betteln um Geld. Niemand hinderte sie am Weitergehen.
    Isaac und Lin stapften unbeirrt durch die verwinkelten Gassen und behielten dabei die Wohntürme im Auge. Sie zogen einen Schweif Neugieriger hinter sich her. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto deutlicher waren die Garuda auszumachen, die über den Häusern kreisten.
    Ein Mann, annähernd so groß und breit wie Isaac, trat ihnen in den Weg.
    »Chef, Kerfe«, grüßte er in rollendem Bass und nickte ihnen zu. Seine Augen huschten flink von einem zum anderen. Isaac stieß Lin an und bedeutete ihr stehen zu bleiben.
    »Was willst du?«, fragte er ungeduldig.
    Der Mann antwortete prompt und ohne eine Spur von Befangenheit. »’s verläuft sich nicht oft jemand nach Spatters, deshalb hab ich mir gedacht, ob die Herrschaften nicht vielleicht was Hilfe gebrauchen können.«
    »Hat dir einer ins Gehirn geschissen?«, brauste Isaac auf. »Ich bin doch kein gottverdammter Tourist! Letztes Mal war ich hier als Gast von Savage Peter.« Er legte eine Kunstpause ein, für das Raunen, dass die Nennung dieses Namens hervorrief. »Und heute komme ich für kleines Palaver mit denen da oben.« Er zeigte auf die Garuda. Der dicke Mann machte ein verdutztes Gesicht.
    »Ihr wollt mit den Vogelleuten schwatzen? Worüber?«
    »Das geht dich einen feuchten Kehricht an! Viel wichtiger ist, führst du uns zu ihnen?«
    Der Mann hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, Chef, schon gut. Geht mich wirklich nichts an. Smiley führt euch zu den Vogelleuten – gegen eine kleine Vergütung.«
    »Um Jabbers willen – keine Sorge, du wirst nicht leer ausgehen, aber …«, Isaac wandte sich mit drohender Miene an die Umstehenden, »kommt ihr bloß nicht auf dumme Ideen. Ich habe nur abgezähltes Geld bei mir, eben genug für einen zuverlässigen Führer, und keinen Heller mehr, und ich kann euch garantieren, dass Savage Peter stink sauer wird, wenn ihm zu Ohren kommt, dass einem alten Kumpel von ihm in seinem Revier ein Unglück zugestoßen ist.«
    »Pardon, Chef, Sie haben eine falsche Meinung von uns hier in Spatters. Lassen Sie’s gut sein, heften Sie sich einfach an meine Fersen. Recht so?«
    »Worauf wartest du noch, Mann!«
    Während Smiley sie auf verschlungenen Pfaden zwischen schwitzenden Betonmauern und rostigen Wellblechdächern hindurchlotste, wandte Lin sich an Isaac.
    Was in Jabbers Namen hatte das eben zu bedeuten? Wer ist Savage Peter?
    Isaac antwortete in der Zeichensprache: Alles nur Komödie. Bin mal mit Lemuel hier gewesen, in – Geschäften. Haben mit Savage verhandelt. Großer Mann hier. War nicht mal sicher, ob er noch lebt! Würde mich nicht wieder erkennen.
    Lin war fassungslos. Sie konnte nicht glauben, dass die Bewohner von Spatters sich von Isaacs Theater hatten bluffen lassen. Andererseits, man führte sie tatsächlich zum Turm der Garuda. Vielleicht war die ganze Begebenheit mehr ein Ritual gewesen als eine wirkliche Konfrontation. Vielleicht hatte Isaac niemanden geblufft oder eingeschüchtert. Vielleicht half man ihnen aus Gutmütigkeit.
    Die Baracken plätscherten wie kleine Wellen gegen die Wolkenkratzermassive. In dem Geviert, dessen Winkel sie bildeten, hatte man einen kleinen Park angelegt. Knorrige Bäume reckten sich verzweifelt nach mehr Licht, Sukkulenten und Hartgräser wuchsen aus dem Gestrüpp. Garuda kreisten unter der Wolkendecke.
    »Da wären wir, Chef«, verkündete ihr Führer stolz.
    Isaac

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