Perdido Street Station 01 - Die Falter
in die stumpfgrauen Wolken zu heben.
Ein neues Geräusch näherte sich, ein durchdringendes Sirren überlagerte das sonore Brummen des Luftschiffs. Irgendwo ganz nah vibrierte ein Stützpfeiler und eine Milizgondel schoss in halsbrecherischem Tempo auf den Turm zu.
Hoch, hoch oben flog sie dahin, der Gleistrosse folgend, die von Norden nach Süden durch die Spitze des Turms führte wie ein Draht durch das Öhr einer gigantischen Nadel. Die Gondel prallte gegen die Puffer, wurde schlagartig abgebremst und kam zum Halten. Personen stiegen aus, aber die Droschke fuhr weiter, bevor Lin Einzelheiten erkennen konnte.
Zum zweiten Mal an diesem Tag schwelgte sie in den fruchtigen Ausdünstungen der Kaktusleute, als der Ptera in Richtung des Gewächshauses von Riverskin trabte. Vertrieben aus diesem klösterlichen Sanktuarium (die geschweiften, kunstvoll gestalteten Seiten der steilen Glaskuppel funkelten im Osten, im Zentrum des Viertels), verachtet von ihren Eltern, lehnten Cliquen von Kaktusteens an verrammelten Gebäuden und billigen Plakatwänden. Sie spielten mit Messern. In ihr Stachelkleid waren aggressive Muster rasiert, die sattgrüne Haut furchten Narben bizarrer Selbstverstümmelung.
Sie beäugten die Droschke ohne eine Spur von Interesse.
Abrupt ging es steil abwärts, hinunter ins Flusstal, wo die Shadrach Street sich unter anderen Namen verzweigte. Lin und ihrem Fahrer bot sich ein ungehinderter Ausblick auf die grauen, schneefleckigen Schroffen der Bergkette, die in kalter Großartigkeit westlich der Stadt aufragte.
Vor ihnen strömte der Tar einher.
Gedämpfte Schreie und das Wummern von Maschinen tönten aus dunklen Fensterhöhlen in der gemauerten Uferbefestigung, einige davon unterhalb der Hochwassermarke: Verliese und Folterkammern und Werkstätten nebst ihren Bastardhybriden, den Korrekturfabriken, wo aus Verurteilten Remade wurden. Lastkähne wühlten sich mit hustendem Motor durch das schwarze Wasser.
Die Pfeiler der Nabob Bridge kamen in Sicht. Und dahinter, Schindeldächer hochgezogen wie frierende Schultern, bröcklige Mauern vor dem Einsturz bewahrt von Strebepfeilern und Käfermörtel, ballte sich unter der Glocke eines unverwechselbaren Gestanks das Chaos namens Kinken.
In der Alten Stadt, jenseits des Flusses, waren die Straßen schmaler, düsterer. Der Ptera stelzte widerwillig vorbei an Häusern mit dem spezifischen Überzug aus dem hart gewordenen Exkret der Larve des Mörtelkäfers. Khepri krabbelten aus Fenstern und Türen; sie bildeten hier die Mehrheit, dies war ihr Viertel. Überall sah man ihre Frauenleiber, ihre Insektenköpfe. Sie standen in grottenähnlichen Hauseingängen zusammen und naschten an Früchten.
Sogar der Droschkenfahrer konnte ihre Gespräche schmecken: die Luft war erfüllt von der feinen Säure chymischer Kommunikation.
Ein organisches Etwas barst schmatzend unter den Rädern. Ein Männchen wahrscheinlich, dachte Lin schaudernd und hatte das Bild der hirnlosen Kriecher vor Augen, die in Kinken scharenweise aus Löchern und Ritzen quollen. Weg mit Schaden!
Vor einem niedrigen Torbogen, von dem Stalaktiten aus Käfermuzin herabwuchsen, scheute der Ptera und weigerte sich weiterzugehen. Lin tippte den Kutscher an, der an den Zügeln riss. Sie warf rasch ein paar Worte auf ihren Block und hielt ihn hoch.
Vogel unruhig. Warte hier, in fünf Minuten zurück.
Er nickte dankbar und streckte die Hand aus, um ihr beim Aussteigen zu helfen; dann bemühte er sich wieder, seinen störrischen Vogel in die Hand zu bekommen.
Lin stand nach wenigen Schritten auf Kinkens Marktplatz. Das weißliche Muzin, das von den Dächern troff, hatte die Straßenschilder an den Ecken des Platzes ausgespart, aber der Name, der darauf stand – Aldelion Place – war seit langem nicht mehr in Gebrauch. Auch die wenigen Menschen und sonstigen Nicht-Khepri, die im Viertel lebten, gebrauchten den neueren Kheprinamen, übersetzt aus dem Zischen und chlorigen Rülpser der Ursprungssprache: Platz der Statuen.
Eine große freie Fläche, begrenzt von baufälligen, etliche hundert Jahre alten Häusern. Die krummschiefe Architektur duckte sich im Schatten der wuchtigen grauen Masse eines weiteren Milizturms im Norden. Dächer winkelten unglaublich steil und niedrig; Fenster waren schmutzig und mit obskuren Mustern bemalt. Sie konnte das leise therapeutische Summen von Ammenkhepri in ihren Stationen hören. Süßer Rauch waberte über der Menge: Khepri, überwiegend, doch vereinzelt auch
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