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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Flussufers und setzte den Fuß auf das abgewetzte, von hartnäckigem Gras durchgrünte Pflaster der Umber Promenade. Jenseits des Canker bogen sich über den Dächern von Bonetown die Rippen wie kolossale Stoßzähne in den Himmel. Der Fluss strömte hier ein wenig schneller, bevor er sich eine halbe Meile weiter südlich an den Felsen von Strack Island brach und – mit dem Tar vereint – majestätisch nach Osten wälzte. Als wären sie eins mit dem Fels, wuchsen die alten Mauern und Türme des Parlaments aus den Flanken des Eilands empor. Es gab kein mähliches Ansteigen, keinen vorgelagerten Häusersaum; übergangslos schossen die nackten Schroffen aus dem Wasser wie eine erstarrte Obsidianfontäne.
    Die Wolken lösten sich auf und hinterließen einen ausgewaschenen Himmel. Isaac konnte das rote Dach seiner Werkstatt zwischen den umliegenden Häusern leuchten sehen, davor träumte der von Unkraut überwucherte Vorhof seines Stammlokals, des Sterbenden Kindes. Die wackligen Tische draußen trugen bunte Moospolster. Nie, so weit Isaac zurückdenken konnte, hatte er jemanden daran sitzen sehen.
    Er trat ein. Das Tageslicht resignierte auf halbem Weg durch die dicken, schmierigen Fensterscheiben, und ihn umfing ein trübes Halbdunkel. Die Wände waren bar jeder Dekoration, von diversen Schmutzschichten abgesehen. Der Gastraum war leer bis auf die hingebungsvollsten Trinker, abenteuerliche Gestalten, die sich an ihrer Flasche festhielten. Einige waren Junkies, einige waren Remade. Einige waren beides: Im Sterbenden Kind hatte jeder Zutritt. Ein paar ausgezehrte junge Männer lagen längelang auf einem Tisch und zuckten im gleichen Rhythmus, vollgedröhnt mit Shazbah oder Dreamshit oder Opja-Tee. Eine Frau hielt ihr Glas in einer stählernen Kralle, aus deren Gelenken Dampf zischte und Öl auf den Bretterboden tropfte. In einer Ecke schlappte ein Gast geduldig Bier aus einer Schale und leckte sich dann die Fuchsschnauze, die man ihm ins Gesicht geheftet hatte.
    Isaac grüßte den alten Mann an der Tür, Joshua, dessen Remaking sehr geringfügig und sehr grausam gewesen war. Bei einem Einbruch ertappt, hatte er sich geweigert, als Zeuge gegen seine Komplizen auszusagen, und der Magister hatte angeordnet, er solle von nun an auf Dauer schweigen: Man hatte ihm den Mund genommen, versiegelt mit einem durchgehenden Streifen Fleisch. Statt sich künftig durch einen Schlauch in der Nase von Suppe zu ernähren, hatte Joshua sich einen neuen Mund ins Gesicht geschnitten, aber der Schmerz hatte seine Hand zittern lassen und das Ergebnis war ein schiefer, gezackter, klaffender Schlitz mit schlaffen Rändern.
    Joshua nickte Isaac zu und saugte, die »Lippen« mit den Fingern um einen Strohhalm zusammengedrückt, gierig an seinem Apfelwein.
    Isaac ging weiter. Die Theke im Hintergrund des Raums war auffallend niedrig, kaum einen Meter hoch. Dahinter in einem Trog trüben Wassers räkelte sich Silchristchek, der Wirt.
    Sil wohnte und arbeitete und schlief in seiner Wanne; er manövrierte seinen Körper – wabbelnd wie ein geschwollener Testikel, scheinbar knochenlos – mit Hilfe seiner riesigen Flossenhände und Froschbeine nach Bedarf von einem Ende zum anderen. Er war alt und fett und misanthropisch, selbst für einen Vodyanoi; ein Sack voll altem Blut, mit Gliedmaßen, ohne Kopf, das grobe, griesgrämige Gesicht eingebettet in die Fettschichten an der Vorderseite seines Körpers.
    Zweimal im Monat schöpfte er das Wasser aus und ließ von seinen Stammgästen eimerweise frisches nachgießen, dabei furzte und grunzte er vor Wonne. Vodyanoi konnten wenigstens einen Tag im Trockenen aushalten, ohne Schaden zu nehmen, aber Sil machte sich nicht die Mühe. Er schwitzte Verdrossenheit aus allen Poren und nahm sich die Freiheit, das in seinem schmuddeligen Suhlwasser zu tun. Isaac konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sils Verhalten eine Art bewusste Provokation darstellte; er schien die ostentative Zurschaustellung von Ich-bin-widerlicher-als-du zu genießen.
    Früher hatte Isaac sich hier den obligatorischen Rausch angetrunken, in jugendlicher Freude daran, die Abgründe der Verlotterung auszuloten. Heutzutage suchte er sein Vergnügen in angenehmeren Etablissements, und in Sils Spelunke kehrte er nur deshalb noch ab und zu ein, weil er auf dem Weg zur Arbeit daran vorbeikam, neuerdings aber auch – überraschenderweise – im Zusammenhang mit seiner Arbeit. Sil hatte sich angewöhnt, ihn mit Versuchsobjekten für gewisse

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