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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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guten Stern, konnte man glauben. Es gab Pannen, Zeitverluste und kurze Anwandlungen von Panik, aber kein Trupp ging verloren oder verirrte sich so hoffnungslos, dass er nicht auf den Weg zurückgefunden hätte. Die Bereitschaft wartete vergeblich auf ihren Einsatz.
    Ein weiter, gewundener Kreis schob sich durch die Stadt. Er mäanderte auf mehr als zwei Meilen durch die verschiedensten Texturen: Die mattschwarze Gummihaut glitt unter Fäkalschlamm hindurch, über Moos und Makulatur und durch Gestrüpp, querte von Ziegelbruch übersäte Brachen, kreuzte die Pfade wilder Katzen und von Straßenkindern, zwängte sich in Mauerfugen zu feucht verklumptem Steinstaub.
    Das Kabel war unerbittlich. Es schob sich weiter voran, hier und da in scharfen Peitschenhiebbögen, bohrte sich durch die Widerstände der heißen Stadt. Entschlossen, unaufhaltsam wie ein seinem Laichgrund zustrebender Fisch, ertrotzte es sich den Weg zu dem düsteren Monolithen im Herzen von New Crobuzon.
    Die Sonne versank hinter den Bergen im Westen, schmückte ihre Schultern mit Purpur, sodass sie großartig und erhaben in den Himmel ragten. Aber sie verblassten neben der barbarischen Majestät der Perdido Street Station.
    Lichter flammten auf, kreuz und quer in ihrer ungezügelten, jähen Tektonik, und sie verschlang die nun leuchtenden Züge mit ihren fünf weit geöffneten Mäulern wie Opfergaben. Der Spike dolchte in die Wolken wie ein präsentierter Speer, doch er war nur Beiwerk, ein kleines Anhängsel dieses massigen, verrufenen architektonischen Leviathans, der sich in fetter Zufriedenheit im Stadtmeer suhlte.
    Das war das Ziel des Kabels, dem es entgegenwuchs, in Wellen einmal über, einmal unter der Oberfläche von New Crobuzon.
    Die Westfront der Perdido Street Station ging auf die Bil-Santum Plaza hinaus. Der Platz war belebt und sehr schön, ein Strom von Droschken und Spaziergängern kreiste ständig um den Park in seiner Mitte. In dem üppigen Grün priesen Gaukler und Zauberer lautstark ihre Künste an und fliegende Händler ihre Waren. Die Bürgerschaft kümmerte sich nicht sonderlich um das monumentale Bauwerk, das den Himmel beherrschte, höchstens nahm man die abenteuerliche Fassade mit beiläufigem Stolz zur Kenntnis, wenn die Strahlen der untergehenden Sonne sie trafen und das Quodlibet der verschiedenen Baustile glühte wie ein Kaleidoskop: Stuck und gewelltes Holz wurden rosa, die Ziegel blutigrot, die eisernen Streben glänzten lichtsatt.
    Die Bil-Santum Street führte unter dem Bogen hindurch, der den Hauptkomplex des Bahnhofs mit dem Spike verband. Perdido Street Station war nicht diskret. Ihre Peripherie war durchlässig. Grate niedriger Zinnen schwangen sich von der Rückfront in das Stadtgebiet hinüber, wurden zu Dächern einfacher, alltäglicher Häuser. Die Betonplatten der Verkleidung pflanzten sich über ihre Bestimmung hinaus fort und waren plötzlich die Wände hässlicher Kanäle. Wo die fünf Gleisstränge sich aus den gähnenden Toren rollten und über die Dächer stiegen, stützten und begleiteten sie die Mauern der Station, bereiteten ihnen einen Pfad über die Häuser. Die Architektur sprengte ihre Grenzen.
    Perdido Street selbst war ein langer, schmaler Durchgang, der von der Bil-Santum Street abzweigte und nach Osten führte, auf Gidd zu. Niemand wusste, weshalb sie einmal wichtig genug gewesen war, um dem Bahnhof seinen Namen zu geben. Sie hatte Katzenkopfpflaster, die Häuser waren mittelständisch, aber schlecht instand gehalten. Früher einmal mochte sie die Begrenzung des Bahnhofs gewesen sein, aber längst war sie dem großen Ganzen einverleibt worden. Die Anbauten und Aufstockungen hatten sich ausgebreitet und das Sträßchen überwuchert, sich wie Schimmel in die Dächerlandschaft dahinter eingeschlichen und die Häuserzeile im Norden der Bil-Santum Street verwandelt. An einigen Stellen lag die Perdido Street unter freiem Himmel, dann wieder waren lange Passagen von einem Tonnengewölbe überdacht, dekoriert mit Wasserspeiern oder verschnörkelten Spalieren aus Holz und Eisen. Dort, im Schatten des Unterbauchs der Station, brannten Tag und Nacht die Gaslaternen.
    Perdido Street war immer noch eine Wohngegend. Familien erhoben sich jeden Morgen unter diesem steinernen Himmel und gingen den langen Weg zu ihrer Arbeitsstätte, abwechselnd bei Gas- und Tageslicht.
    Oft hörte man von oben das Trampeln schwerer Stiefel. Der vordere Trakt der Station und ein großer Teil der Dächer wurden bewacht. Private

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