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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Sternenkonstellation.
    Yagharek stand als schmale Silhouette vor diesem Hintergrund. Sein Blick wanderte über die Schornsteinwälder und Schieferschrägen, doch soweit er sehen konnte, waren sie unbeobachtet. Er drehte sich zu dem Fenster herum, hinter dem die anderen warteten, und winkte sie heran.
    Andrej war alt und steif und es fiel ihm schwer, auf den schmalen Firsten entlangzubalancieren, über die man ihn trieb. Er konnte nicht die bis zu zwei Meter breiten Spalten überspringen, die sich immer wieder vor ihnen auftaten. Isaac und Derkhan halfen ihm, stützten oder ermunterten ihn, mit sanfter, makabrer Fürsorglichkeit, während der jeweils andere den Pistolenlauf auf seinen Kopf richtete.
    Sie hatten ihm die Fesseln abgenommen, damit er gehen und klettern konnte, aber den Knebel belassen, um sich sein Flehen und Schluchzen nicht anhören zu müssen.
    Andrej stolperte verwirrt und elend wie eine verdammte Seele im Vorhof der Hölle auf beschwerlichem Weg seinem unausweichlichem Ende entgegen.
    Die vier bewegten sich parallel zur Dexter Line über die Dächerwelt, in beiden Richtungen passiert von Funken sprühenden eisernen Lindwürmern, die brüllten und große Wolken rußigen Qualms in den Abendhimmel schnoben. Sie marschierten langsam weiter, immer auf den Bahnhof zu.
    Nicht lange, und das Terrain änderte sich. Die steilen Schindeln wurden von der ringsum emporwachsenden Masse Architektur verdrängt. Isaac und seine Begleiter mussten beim Klettern die Hände zur Hilfe nehmen. Sie zwängten sich durch schmale Gänge mit Mauern und Fenstern links und rechts, duckten sich unter großen Ochsenaugen hinweg und erklommen kurze Leitern, die zwischen gedrungenen Türmen hinaufführten. Verborgene Maschinen versetzten das Mauerwerk in Schwingungen. Der Blick zum Dach der Perdido Street Station ging nicht mehr nach vorn, sondern nach oben. Sie hatten eine unsichtbare Grenzlinie überschritten, wo die Wohnbezirke endeten und die Ausläufer des Bahnhofsgebäudes begannen.
    Wo immer möglich, suchten sie Kletterpartien zu vermeiden, drückten sich lieber um die Ecken von scharfen Vorsprüngen und durch unvermutete Lücken. Isaac fing an, sich suchend umzuschauen, er wirkte nervös und angespannt. Die Straße wurde von niedrigen Schroffen aus Firsten und Schornsteinaufsätzen rechts von ihnen verdeckt.
    »Seid vorsichtig und macht keinen Lärm«, mahnte er flüsternd. »Vielleicht sind Patrouillen in der Gegend.«
    Ein bogenförmiger tiefer Einschnitt in dem scheckigen Panorama des Bahnhofs war eine Straße, die sich ihnen von Nordosten näherte, halb verdeckt von den Extravaganzen des Gebäudes. Isaac zeigte darauf.
    »Dort«, flüsterte er. »Perdido Street.«
    Er zeigte den Verlauf mit der Hand. Ein Stück vor ihnen kreuzte sie den Cephalic Way, dem sie folgten.
    »Wo sie zusammenstoßen«, erklärte er leise, »liegt unser verabredeter Treffpunkt. Yag – würdest du nachsehen?«
    Der Garuda eilte davon, zur Rückseite eines hohen Anbaus einige Meter vor ihnen, wo man an einer schräg abwärts führenden, rostzerfressenen Regenrinne nach unten steigen konnte.
    Isaac und Derkhan folgten ihm langsam, sie schoben Andrej mit der Pistole vor sich her. An der Kreuzung der beiden Straßen angelangt, setzten sie sich beide hin und warteten.
    Isaac warf einen Blick zum Himmel, wo nur die hohen Wolken noch etwas Sonnenlicht einfingen. Er senkte den Blick auf Andrejs von Schwäche und Todesangst zerquältes Gesicht. Von überall her drangen aus der Stadt die Stimmen der Nacht zu ihnen herauf.
    »Noch keine Albträume – bis jetzt«, murmelte Isaac. Er streckte die Hand aus, als wollte er fühlen, ob es regnete. »Ich spüre nichts. Sie können noch nicht unterwegs sein.«
    »Vielleicht lecken sie ihre Wunden«, meinte Derkhan freudlos. »Vielleicht kommen sie gar nicht, und all das hier …« ihr Blick huschte zu Andrej, »ist völlig überflüssig.«
    »Sie kommen«, sagte Isaac. »Verlass dich drauf.« Er wollte nicht hören, dass das Unternehmen scheitern könnte, nicht einmal daran denken.
    Sie schwiegen eine Weile. Irgendwann kam ihnen gleichzeitig zu Bewusstsein, dass sie beide Andrej beobachteten.
    Der alte Mann atmete langsam, seine Augen huschten hierhin und dorthin; seine Angst war zu einem lähmenden Dauerzustand geworden. Wir könnten ihm den Knebel abnehmen, überlegte Isaac. Er würde nicht schreien – aber vielleicht würde er sprechen … Andrej behielt den Knebel.
    Dicht bei ihnen ertönte ein kratzendes

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