Perdido Street Station 02 - Der Weber
Aufmerksamkeit. Während sie das Kabel weiterführten – diesmal an der Mauer eines Schulgebäudes, aus dessen Fenstern didaktisches Gebell ertönte – kam das unbeachtete Paar an einem anderen Trupp Arbeiter vorbei, die an der gegenüberliegenden Ecke das Pflaster ausbesserten. Sie warfen den Kollegen einen kurzen Blick zu, knurrten eine Art Gruß und schenkten ihnen weiter keine Beachtung.
Am Rand des Rotlichtbezirks schleppten die Jünger des Konstrukt Konzils den Rest ihrer Kabelrolle in einen Hinterhof, gebildet von mehrstöckigen Wohnblocks auf drei Seiten, fünf oder mehr Etagen schmutzige Backsteinmauern, fleckig und bemoost, über Jahre hinweg zerfressen von Smog und Regen. Die Anordnung der Fenster wirkte beliebig, als hätte man sie vom höchsten Punkt herabfallen lassen, damit sie zwischen Dach und Erdboden irgendwo an der Mauer kleben blieben.
Man hörte Lachen und Flüche und gut gelauntes Geplauder, und das Klappern von Geschirr. Ein hübsches Kind unbestimmten Geschlechts beobachtete sie aus einem Fenster im dritten Stock. Die beiden Männer tauschten einen bedenklichen Blick und musterten die anderen Fenster zum Hof. Das Kind war der einzige Zuschauer, davon abgesehen waren sie unbeobachtet.
Sie ließen die Kabelschlingen fallen, und einer schaute zu dem Kind hinauf, zwinkerte und grinste. Der andere Mann kniete sich hin und spähte durch die Eisenstäbe des Gullys im Boden.
Aus dem Schacht unten meldete sich eine Stimme. Eine schmutzige Hand stieß zu dem Rost hinauf.
Der kniende Mann gab seinem Kameraden einen Stoß gegen das Bein und flüsterte zischend: »Sie sind da – wir sind hier richtig!«, dann packte er das ausgefranste Ende des Kabels und bemühte sich, es zwischen den Stäben des Gullys hindurchzupraktizieren. Es war zu dick. Er kramte fluchend in seinem Werkzeugkasten nach einer Bügelsäge und setzte sie an. Bei dem Kreischen des Metalls verzog er das Gesicht, sägte aber weiter.
»Beeil dich«, drängte die unsichtbare Person unten. »Uns ist etwas gefolgt.«
Nachdem er den Eisenstab durchgesägt hatte, stieß der Mann das Kabel mit Gewalt durch die Öffnung. Sein Kollege betrachtete von oben die Szene, die schauerlich an eine Umkehrung des Geburtsvorgangs gemahnte.
Der Mann im Schacht griff das Kabel und zog es in die Finsternis der Kanalisation. Die Längen Kabel neben dem Gully rutschten in das Verdauungssystem der Stadt.
Das Kind beobachtete neugierig, wie die beiden Männer warteten. Sie wischten sich die Hände an der Arbeitskleidung ab. Als endlich die letzte Schlinge in den Schacht gerutscht war, das Kabel sich unter festem Zug scharf um die Hausecke spannte und stracks in die Tiefe führte, verließen sie den Hof.
Der eine Mann schaute noch einmal zurück und nach oben, bevor sie um die Ecke bogen. Er zwinkerte wieder, dann ging er weiter und war für das Kind nicht mehr zu sehen.
Auf der Hauptstraße trennten die beiden Männer sich ohne ein Wort und gingen im Licht der sinkenden Sonne in verschiedene Richtungen auseinander.
Die zwei Männer an der Mauer des Klostergartens hoben die Köpfe.
Gegenüber waren auf dem Dach eines Hauses mit fleckigen Betonmauern drei Gestalten aufgetaucht. Sie hatten ebenfalls Kabel dabei, die letzten zirka zehn Meter einer viel längeren Rolle, die jetzt hinter ihnen Meter um Meter ihre am südlichen Ende von Spit Hearth begonnene Reise über die Dächer markierte.
Die Kabelfährte schlängelte sich zwischen den Verschlägen illegaler Dachbesetzer hindurch, gesellte sich zu den diversen Leitungsrohren, die in Legion planlos zwischen Taubenschlägen entlangwinkelten. Das Kabel war um Schornsteine gewürgt und haftete wie ein vermikularer Parasit an Schindeln. Es hing in Girlanden über Straßen, sieben, vierzehn oder mehr Meter hoch neben den kleinen Fußgängerbrücken, die sich von einer Seite zur anderen wölbten. Hier und da, wo die Lücke nur zwei Meter breit war oder weniger, hatten die Arbeiter, nachdem sie hinübergesprungen waren, das Kabel einfach nachgezogen.
Es verschwand schließlich irgendwo im Südosten, führte jäh abwärts durch ein schleimiges Fallrohr in die Kanalisation.
Die drei Männer auf dem Dach gingen zur Feuertreppe ihres Gebäudes und stiegen mit dem Kabel bis zum ersten Stock hinunter, machten dort Halt und schauten über den Klostergarten hinweg auf die beiden wartenden Kameraden.
»Fertig?«, rief einer der Neuankömmlinge und machte eine schlenkernde Bewegung, als wollte er etwas zu ihnen
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